Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bei Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Investitionen in Wertpapiere verschiedener Emittenten gegen mehrere Beklagte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betroffen im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Emittent oder Anbieter, dessen Wertpapier oder sonstige Vermögensanlage Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist.

2. Hieraus folgt eine ausschließliche Zuständigkeit verschiedener Landgerichte für Anlegerklagen aufgrund von Investitionen in verschiedene Aktien, deren Emittenten in verschiedenen Gerichtsbezirken ihren Sitz haben. Es besteht kein Wahlrecht der Kläger zwischen diesen ausschließlichen Gerichtsständen.

3. Bei Vorliegen zweier divergierender ausschließlicher Gerichtsstände gemäß § 32b Abs. 1 ZPO kommt eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht in Betracht. Im Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 ZPO würde eine Gerichtsstandsbestimmung dessen Regelungszweck zuwiderlaufen. Dieser verfolgt die Zielsetzung, sämtliche Anlegerklagen wegen Schäden aufgrund von Investitionen in ein Wertpapier bei einem Gericht zu bündeln.

 

Normenkette

ZPO § 32b Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 3

 

Tenor

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der vorliegende Gerichtsstandsbestimmungsantrag steht im Zusammenhang mit den derzeit vor den Braunschweiger und den Stuttgarter Gerichten anhängigen Prozessserien anlässlich der sog. "Dieselthematik". Gegenstand der zahlreichen kapitalmarktrechtlichen Klageverfahren sind Ansprüche auf Schadensersatz wegen angeblich aufgrund von Transaktionen mit V- und/oder PSE-Vorzugsaktien erlittenen Spekulationsverlusten. Die Antragstellerin wird in mehr als 1.500 Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Braunschweig und in 112 Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Stuttgart teilweise allein, teilweise gemeinsam mit der Beklagten zu 2 auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die geltend gemachten Schäden betreffen sowohl Transaktionen mit V-Aktien als auch Transaktionen mit PSE-Vorzugsaktien. Sowohl das Landgericht Braunschweig als auch das Landgericht Stuttgart haben zwischenzeitlich Vorlagebeschlüsse nach dem KapMuG erlassen. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass für sämtliche Ausgangsverfahren nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO allein das Landgericht Braunschweig zuständig sei.

In dem diesem Bestimmungsverfahren zugrunde liegenden Verfahren 5 O xxxx/16 des Landgerichts Braunschweig beanspruchen die Kläger Schadensersatz gegen die Beklagte zu 1 wegen Investitionen in V- und PSE-Aktien und gegen die Beklagte zu 2 wegen Investitionen in PSE-Aktien.

Die Beklagte zu 1 beantragt,

das Landgericht Braunschweig gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständiges Gericht des Rechtsstreits für beide Beklagte zu bestimmen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dieser Antrag sei zulässig. Der Antrag könne insbesondere auch von der Beklagtenpartei gestellt werden.

Die Antragsbefugnis bestehe lediglich dann nicht, wenn der Antragsteller kein legitimes Interesse an der Klärung der Zuständigkeitsfrage habe, so dass ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Dies setze indes voraus, dass der Antragsteller das rechtliche Interesse an einer Verfahrenskonzentration auf anderem Wege durchsetzen könne. Diese Möglichkeit bestehe vorliegend aber nicht. Angesichts der rechtsmissbräuchlichen Klageerhebung in unterschiedlichen Gerichtsständen durch die klägerischen Prozessbevollmächtigten, die ihre parallele Inanspruchnahme der Beklagten in Braunschweig und Stuttgart öffentlich als vermeintlich erfolgreiche "Flügelzange" bewerben würden, sei das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin evident. Ein schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin ergebe sich insbesondere auch daraus, dass hier entgegen Text, Regelungskontext und Telos des § 32b ZPO widersprechende Entscheidungen mit weitreichenden Folgen drohen würden. Die Antragstellerin habe daher ein überragendes rechtliches Interesse an der gerichtlichen Klärung der Zuständigkeitsfragen durch das Oberlandesgericht Braunschweig. Denn wenn die Kläger durch inkonsistente Klageerhebung bei verschiedenen Gerichten eine Zuständigkeitszersplitterung herbeiführten, müsse es der Antragstellerin möglich sein, diese Zersplitterung wieder zu beseitigen und sämtliche Ausgangsverfahren in ihrem allgemeinen Gerichtsstand zu konzentrieren. Die Antragstellerin habe auch ein schutzwürdiges Interesse an einer einheitlichen Klärung der vorliegenden streitigen Sach- und Rechtsfragen in einem einzigen Musterverfahren, zumal sie auf dessen Einleitung und Durchführung trotz ihrer Beklagtenstellung in den Ausgangsverfahren durch ihr Recht, eigene (ggf. auch ergänzende) Musterverfahrensanträge zu stellen, aktiv Einfluss nehmen könne. Insoweit sei sie ebenfalls "Rechtsuchende" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und damit i.R.d. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO antragsbefugt.

Der Bestimmungsantrag sei auch begründet.

Die Beklagten in den Hauptsacheverfahren, d.h. die Antragste...

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