Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Freispruch wegen nicht ausschließbar unfallursächlicher ,Synkope'

 

Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (u.a. Anschluss an BGHSt 29, 18, 19 ff.; 37, 21, 22; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11, 27 und § 267 V Freispruch 15; BGH, Urt. v. 01.02.2007 - 4 StR 474/06).

  • 2.

    Die Beweiswürdigung eines freisprechenden Urteils ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung übertriebene Anforderungen gestellt werden (u.a. Anschluss an BGHSt 10, 208, 209 ff.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7, 22 und 25 und § 267 V Freispruch 6, 13; BGH NJW 1988, 3273 f.; BGH NStZ 2004, 35 f. sowie zuletzt BGH, Urt. v. 07.01.2010 - 4 StR 413/09, 12.01.2010 - 1 StR 272/09 = NJW 2010, 1087 ff. und 13.01.2010 - 1 StR 247/09).

  • 3.

    Die prozessuale Feststellung einer zu erweisenden Tatsache erfordert nur den Ausschluss des Zweifels eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers, nicht aber eine von niemanden anzweifelbare absolute, gewissermaßen mathematische, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit. Es ist deshalb weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen (hier: nicht vorhersehbares oder sonst vermeidbares Auftreten einer unfallursächlichen ,Synkope' im Sinne eines kurzen, spontan reversiblen Bewusstseinsverlusts) auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.

 

Normenkette

StGB § 222; StPO §§ 261, 267 Abs. 5 S. 1

 

Tatbestand

Das AG verurteilte die Angekl. wegen fahrlässiger Tötung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Bewährungsstrafe und verhängte gegen sie ein Fahrverbot. Auf ihre Berufung hat das LG die Angekl. freigesprochen. Nach den Feststellungen zum objektiven Unfallgeschehen führte die zum Unfallzeitpunkt 43-jährige Angekl. am 11.05.2006 gegen 15.05 Uhr ihren Pkw Toyota auf der Bundesstraße mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 - 90 km/h. Zur selben Zeit fuhr die verstorbene Daniela W. mit dem von ihr geführten Pkw VW in die Gegenrichtung; auf dem Beifahrersitz befand sich ihre 11-jährige Tochter S. Bei Kilometer 24.600 kam die Angekl. mit ihrem Pkw in einem Winkel von ca. 5 Grad stetig nach links auf die Gegenfahrbahn, ohne dabei den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen. Als sie sich bei einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h vollständig auf der für sie linken Fahrbahnhälfte befand, kam es zum Frontalzusammenstoß mit dem Pkw der Daniela W., die zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von ca. 90 km/h einhielt. Während Daniela W. vor dem Zusammenstoß noch versuchte, durch starkes Abbremsen den Anstoß zu vermeiden, fuhr die Angekl. ungebremst weiter. Durch den Aufprall wurden beide Fahrzeuge gedreht und in die Leitplanke geschleudert. Durch den Zusammenstoß wurde das Kind S. so schwer verletzt, dass es noch am Unfallort verstarb. Daniela W. verstarb später an den Folgen ihrer Verletzungen im Krankenhaus. Die Bundesstraße führt an der Unfallstelle einige hundert Meter geradeaus. Die Fahrbahn ist dort aus Fahrtrichtung der Angekl. gesehen ganz leicht nach links abschüssig. Zum Unfallzeitpunkt herrschte normaler Tagesverkehr, der Fahrbahnbelag war trocken und die Sonne schien.

Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der StA und der Nebenkl. führten zur Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung an das LG.

 

Entscheidungsgründe

Die Beweiswürdigung des LG erweist sich als sachlich-rechtlich rechtsfehlerhaft, weil der Senat bei der gebotenen Gesamtschau der Urteilsgründe nicht ausschließen kann, dass das LG die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) überspannt hat und sich seine Beweiswürdigung deshalb als lückenhaft erweist.

1.

Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat das Tatgericht gemäß § 267 V 1 StPO zunächst in einer geschlossenen Darstellung grundsätzlich diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen es die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht hat treffen können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr., vgl. z.B. BGHR StPO § 267 V Freispruch 2 bis 8, 10 und 13 = BGH wistra 2004, 105 ff.; BGH, Urt. v. 01.02.2007 - 4 StR 474/06 sowie zuletzt v. 04.02.2010 - 4 StR 487/09 und v. 11.02.2010 - 4 StR 433/09, jeweils m.w.N.). Spricht das Tatgericht den Angekl. frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des T...

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