Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur AGB-rechtlichen Wirksamkeitskontrolle einer anwaltlichen Zeitvergütungsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zwar ist bei der Beurteilung, ob eine vertragliche Regelung dem Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügt, auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines typischen Vertragspartners bei Verträgen der geregelten Art abzustellen, und ändern grundsätzlich auch weitergehende Kenntnisse und Verständnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners an der Verletzung des Transparenzgebotes und der Unwirksamkeit der Klausel nichts. Ist eine Vertragsklausel (hier: eine Zeitvergütungsvereinbarung) für den typischen Kunden intransparent, für den konkreten Vertragspartner (hier: einen vormals als Rechtsanwalt in einer Großkanzlei tätigen Juristen) aber verständlich, ist dies jedoch bei der Inhaltskontrolle eines Verbrauchervertrags im Individualprozess gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB als Begleitumstand zu berücksichtigen und kann die Unwirksamkeit der Klausel nicht mehr aus einer Verletzung des Transparenzgebotes hergeleitet werden. (Rn. 79 - 80)

2. Bei einem Anwaltshonorar, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das Fünffache übersteigt, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass es unangemessen hoch ist. Diese Vermutung führt dazu, dass der Anwalt darlegen und beweisen muss, dass und in welchem Umfang das vereinbarte Honorar für das konkrete Mandat angemessen ist. Dabei kommt es darauf an, ob die vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist, wobei als Bewertungskriterien in Anlehnung an § 14 Abs. 1 RVG unter anderem die Schwierigkeit und der Umfang der Sache, ihre Bedeutung für den Auftraggeber und das Ziel, das der Auftraggeber mit dem Auftrag anstrebt, maßgeblich sind. Darüber hinaus ist unter anderem auch zu berücksichtigen, wie weit das Ergebnis tatsächlich als Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen ist und wie sich die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers darstellen. Die Vergütung nach Maßgabe eines Stundenhonorars ist dabei nicht als unangemessen zu beanstanden, wenn diese Honorarform unter Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalls sachgerecht erscheint und die geltend gemachte Bearbeitungszeit sowie der ausgehandelte Stundensatz angemessen sind. Für eine Herabsetzung der Vergütung ist danach nur Raum, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit den Grundsätzen von § 242 BGB unvereinbar wäre, den Mandanten an seinem Honorarversprechen festzuhalten (im Anschluss an BGH BeckRS 2016, 20620). (Rn. 92)

3. Zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung eines unangemessen hohen Honorars, welches die gesetzlichen Gebühren um das 9,32-fache übersteigt, wegen der besonderen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der ganz besonderen persönlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Partei (hier: Wiedererlangung der Betreuung für ein Familienmitglied), der intensiven Mitwirkung der Partei an den Schriftsätzen des Anwalts und des besonderen Zeitaufwands für die Bearbeitung des Mandats. (Rn. 94 - 98)

4. Eine Mitteilung der Vergütungsberechnung in der Vergütungsklageschrift oder einem anderen Prozessschriftsatz genügt für die Beachtung des § 10 Abs. 1 S. 1 RVG. Der Umstand, dass die Berechnung sachlich unzutreffend ist, nimmt der Berechnung nicht ihre Wirkung nach dieser Vorschrift. (Rn. 107)

 

Normenkette

BGB §§ 291, 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 310 Abs. 3 Nr. 3, § 611; KlauselRL Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2; RVG § 3a Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Würzburg (Urteil vom 08.11.2022; Aktenzeichen 23 O 759/22)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 08.11.2022, Az. 23 O 759/22, abgeändert.

2. Die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 12.836,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 12.284,39 seit 28.10.2022 sowie aus 552,16 EUR seit 12.06.2022 zu bezahlen.

3. Der Beklagte zu 3) wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.962 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.10.2022 zu bezahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Parteien wie folgt zu tragen: Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat die Klägerin 20% zu tragen, die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 3) tragen hiervon als Gesamtschuldner 80%. Die Klägerin hat von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und zu 2) jeweils 23% zu tragen und von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) 11%. Im Übrigen tragen die Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu tragen.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. 8. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 14.890,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

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