Leitsatz (amtlich)

1. Das Erfordernis einer allgemeinen Glättebildung als Grundvoraussetzung für eine Räum- und Streupflicht auf Straßen, Wegen und Plätzen (BGH NJW 2009, 3302 Tz. 4 m.w.N.; 2012, 2727; VersR 1982, 299 [300]) gilt auch für Bahnsteige. Auch auf Bahnsteigen löst das Vorhandensein lediglich vereinzelter Glättestellen noch keine Räum- und Streupflicht aus.

2. Ein Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit des Nichtstreuens für den Sturz eines (Bahn-)Reisenden kommt erst dann in Betracht, wenn der Geschädigte den ihm obliegenden Beweis einer allgemeinen Glättebildung geführt hat.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Coburg (Urteil vom 17.10.2012; Aktenzeichen 21 O 734/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Coburg vom 17.10.2012 - 21 O 734/10, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen und die im Berufungsverfahren entstandenen Kosten der Nebenintervention zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verfolgt gegen die Beklagte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen eines Sturzes vom 5.12.2009 auf dem Bahnsteig des Bahnhofs A., den sie auf Eisglätte und eine Verletzung der von der Beklagten übernommenen Streupflicht zurückführt.

Die B. GmbH hat den Winterdienst auf dem Bahnhof A. auf die Streithelferin, die M. GmbH übertragen (Auftrag Anl. B 2), die wiederum den Winterdienst auf die Beklagte übertrug. Der Auftrag umfasste auf den Bahnsteigen lediglich einen zwei Meter breiten Streifen ab Bahnsteigkante und den Bereich vor dem Treppenabgang. Die Beklagte ließ den Winterdienst durch den Zeugen K. ausführen.

Die Klägerin stieg um 9.45 Uhr am Gleis 2 aus dem aus Lichtenfels ankommenden Zug. Die Bahnsteige waren zu diesem Zeitpunkt nicht gestreut. Bei einem Sturz zog sie sich eine schwere Luxationsfraktur am oberen rechten Sprunggelenk zu.

Sie hat behauptet, sie sei auf dem Bahnsteig auf dem Weg zum Treppenabgang nach drei bis vier Metern - aber nicht mehr als zwei Meter von der Bahnsteigkante entfernt - wegen Eisglätte ausgerutscht und gestürzt. Die Beklagte habe ihre Verkehrsicherungspflicht verletzt und deshalb den materiellen Schaden, insbesondere die Kosten für Hilfe bei der Haushaltsführung, i.H.v. 2.694,83 EUR nebst Zinsen zu ersetzen, ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 8.0,00 EUR nebst Zinsen und eine Schmerzensgeldrente von 300 EUR ab Dezember 2009 zu zahlen. Ferner hat die Klägerin die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 5.12.2009 begehrt. Sie ist der Auffassung, die Beklagte hafte auch für das Verhalten der von ihr für den Winterdienst eingesetzten Personen.

Die Beklagte hat den behaupteten Unfallhergang, insbesondere einen glättebedingten Sturz bestritten und zudem eingewandt, sie hafte nicht, weil sie die Winterdienstpflicht auf den Zeugen K. als selbständigen Subunternehmer übertragen habe. Die Streupflicht sei auch nicht verletzt, weil nach den Wetterbedingungen mit Eisbildung nicht zu rechnen gewesen sei und es allenfalls erst wenige Minuten vor der Unfallzeit zu einer Eisbildung gekommen sein könne. Die Klägerin träfe außerdem ein erhebliches Mitverschulden. Die Haushaltshilfekosten seien nicht unfallbedingt. Das Schmerzensgeld sei überhöht und eine Schmerzensgeldrente sei nicht geschuldet. Die Beklagte hat daher Klageabweisung beantragt.

Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme teilweise stattgegeben. Es hat sich vom behaupteten Unfallhergang überzeugt. Es hat deshalb eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten bejaht, eine wirksame Weiterübertragung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte und ein Mitverschulden der Klägerin hingegen verneint. Es hat einen materiellen Schadensersatz nur i.H.v. 187,25 EUR nebst Zinsen sowie ein Schmerzensgeld - wegen des komplizierten Heilverlaufs und einer dauerhaften Einschränkung der Gehfähigkeit - von sogar 15.0,00 EUR nebst Zinsen zugesprochen und die Ersatzpflicht der Beklagten für den materiellen und immateriellen Zukunftsschaden festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Haushaltshilfekosten hat das LG als im Wesentlichen nicht unfallbedingt angesehen. Die Voraussetzungen für eine Schmerzensgeldrente hat das LG verneint.

Wegen der erstinstanzlichen Anträge, wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz und wegen der Tenorierung und der Begründung des angefochtenen Urteils wird auf dieses Bezug genommen (Bl. 220/235 d.A.).

Die Klägerin hat nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Beschlüsse vom 15.1.2013, Bl. 316/320 d.A., und 27.2.2013, Bl. 354/355 d.A.) form- und fristgerecht Berufung mit dem Ziel eingelegt, über die zuerkannten Beträge hinaus weitere vom LG abgewiesene Haushaltshilfe...

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