Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufnahme der Verweigerung eines Patienten, eine dringende erforderliche Untersuchung vorzunehmen, in die Krankenunterlagen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verweigert ein Patient trotz entsprechender therapeutischer Aufklärung eine zur Feststellung, ob er sich in der akuten Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Herzinfarkts befindet, dringend erforderliche Untersuchung, so ist dies von der Behandlungsseite in den Krankenunterlagen zu dokumentieren.

2. Weisen Veränderungen im EKG sowie die vom Patienten geschilderte Beschwerdesymptomatik auf die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Herzinfarkts hin, so stellt es einen groben Behandlungsfehler dar, wenn es der Arzt unterlässt, den Patienten unverzüglich zu einer Herzkatheteruntersuchung in eine Klinik einzuweisen (Fortführung von OLG Naumburg v. 13.3.2001 - 1 U 76/00, OLGReport Naumburg 2002, 39 = NJW-RR 2002, 312; LG München v. 28.5.2003 - 9 O 14993/99, NJW-RR 2003, 1179).

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Aschaffenburg (Urteil vom 27.05.2003; Aktenzeichen 1 O 499/00)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Aschaffenburg vom 27.5.2003 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000 EUR nebst 4 % Zinsen hieraus seit 18.1.2001 zu zahlen.

II. Die Kosten der Beweisaufnahme hat der Beklagte zu tragen. Von den übrigen erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 4/5 und der Beklagte 1/5 zu tragen. Von den übrigen Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 3/5, der Beklagte 2/5 zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Der Kläger begehrt Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Heilbehandlung.

Der Kläger litt seit vielen Jahren an einer koronaren Herzerkrankung. Wegen dieser war er seit 1991 Patient in der Gemeinschaftspraxis, die der Beklagte als Facharzt für Allgemeinmedizin mit ... führte.

Auf Anraten des Beklagten ließ sich der Kläger Anfang Oktober 1998 von dem Kardiologen Dr. ... untersuchen. Dieser stellte bei ihm keine Veränderungen, sondern eine volle Belastbarkeit fest. Dies teilte Dr. ... mit Schreiben vom 6.10.1998 den Beklagten mit. Am Freitag, dem 16.10.1998, begab sich der Kläger in die Praxis des Beklagten. Er schilderte ihm einen "enormen Druck in der Brust" und gab an, dass er kaum eine Treppe hochsteigen könne. Des Weiteren teilte er dem Beklagten mit, dass dieselben Symptome schon einmal im Jahre 1991 aufgetreten seien und dass er damals von Dr. ... in die Uniklinik Frankfurt eingewiesen worden sei, damit ein Herzkatheter gesetzt und so die aufgetretene Arterienverengung beseitigt werde. Der Beklagte ließ ein EKG fertigen und verordnete blutdrucksenkende Medikamente sowie ein Nitrospray zur Erweiterung der Gefäße. Er riet dem Kläger, eine Herzkatheteruntersuchung durchführen zu lassen. Am Dienstag, dem 20.10.1998, begab sich der Kläger erneut zum Beklagten in ärztliche Behandlung und schilderte die gleichen Symptome wie am 16.10.1998. Der Beklagte wiederholte die bisherige Therapie. Die Tagesliste des Beklagten enthält zudem folgende Eintragung:

"Im Klinikum Ffm. angerufen wg. Termin - nicht mögl. vor dem 9.11., nur notfallmäßig. Rückruf Pat. mit Angabe der Tel.-Nr. ... in Ffm.; soll bei Verschlechterung sofort anrufen, ansonsten Termin in AB einhalten."

Am Donnerstag, den 22.10.1998, erlitt der Kläger einen Herzinfarkt und wurde per Notaufnahme ins Klinikum Aschaffenburg gebracht.

Der Kläger trägt vor, aus dem vom Beklagten am 16.10.1998 angefertigten EKG und seinen Beschwerden hätten sich eindeutige Warnsignale ergeben, die auf einen drohenden Herzinfarkt hingedeutet hätten. Die vom Beklagten angesichts dessen vorgenommenen Therapiemaßnahmen seien nicht ausreichend gewesen. Insbesondere hätte der Beklagte ihn durch eine Notfallmaßnahme sofort in ein Krankenhaus einweisen müssen. Dadurch hätte sein Herzinfarkt vermieden werden können.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu materiellem Schadensersatz i.H.v. 5.937,50 DM sowie zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes i.H.v. mindestens 60.000 DM zu verurteilen und seine Einstandspflicht für die künftigen materiellen und immateriellen Schäden festzustellen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er behauptet, der Kläger habe am 16.10.1998 die gleichen Beschwerden geschildert wie früher. Das EKG vom 16.10.1998 habe gewisse Veränderungen aufgewiesen, die jedoch bereits seit 1994 bekannt gewesen seien und insoweit nichts Neues gezeigt hätten. Er habe früher den Kläger wiederholt und ernsthaft darauf hingewiesen, dass eine weitere Herzkatheteruntersuchung erforderlich sei, die der Kläger jedoch abgelehnt habe. Er habe im Rahmen der Behandlung des Klägers am 20.10.1998 drei verschiedene Termine für eine Herzkatheteruntersuchung festgelegt, nämlich einen ambulanten Termin in drei Wochen in Frankfurt am Main, einen Termin am 28.10.1998 bei dem Kardiologen Dr. ... sowie einen Notfalltermin in Frankfurt am Main, der bei einer akuten Ve...

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