Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an freisprechendes Urteil in Bußgeldsachen wegen sachverständiger Einwände gegen Messvorgang

 

Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Auch im Bußgeldverfahren hat der Tatrichter bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen darzulegen, welche Feststellungen er getroffen hat, auf welche für erwiesen erachteten Tatsachen er seine Überzeugung stützt, wie sich der Betroffene eingelassen hat und warum die für einen Schuldspruch erforderlichen weiteren Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 05.05.2008 - 3 Ss OWi 300/08 = VerkMitt. 2008 Nr. 47 = VRS 114, 456 ff.).

  • 2.

    Hat das Gericht zur Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen gehört und sich seinem Gutachten ohne weiteres angeschlossen, müssen in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und sachverständigen Darlegungen wiedergegeben werden. Das Urteil hat die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, und die Art dieser Folgerungen wenigstens insoweit mitzuteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

 

Normenkette

StPO § 261; OWiG § 71 I

 

Tatbestand

Wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h setzte die Zentrale Bußgeldstelle gegen den Betr. mit Bußgeldbescheid vom 17.06.2008 neben einer Geldbuße ein einmonatiges Fahrverbot fest. Auf seinen Einspruch hin sprach das AG den Betr. mit Urteil vom 17.10.2008 frei, weil nicht zweifelsfrei habe festgestellt werden können, ob die Geschwindigkeitsüberschreitung tatsächlich dem Betroffenenfahrzeug zuzuordnen sei. Zwar stehe aufgrund der "glaubhaften Angaben" des als Zeuge gehörten Messbeamten fest, dass die erforderlichen Funktionstests ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Die Messung selbst sei jedoch nicht vom gleichen Standort aus durchgeführt worden wie der Test der Visiereinrichtung. Der Messbeamte habe auf dem Lichtbild Nr. 3 der Anlage IV des Sachverständigengutachtens seinen Standort als Punkt vor dem blauen Häuschen markiert. Obwohl der Zeuge bei seiner Vernehmung angegeben habe, dass bei der Messung der Ring frei gewesen sei, sich also weder Schild noch Leitpfosten im Ring befunden hätten, habe das Gericht aufgrund des mündlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe. Der Sachverständige habe den Messablauf nachgestellt, wobei er jedoch aufgrund der Angaben im Messprotokoll die Messung von dem Standort aus durchgeführt habe, an dem die Funktionstests durchgeführt wurden. Aus der Anlage IV zum Gutachten ergebe sich, dass bei einer Messung von dieser Stelle aus zwei Verkehrszeichen im Ring gewesen seien. Nachdem der Messbeamte auf Befragung durch den Sachverständigen erklärt habe, dass er nicht von dieser Stelle aus gemessen und seinen Messstandort mit einem Punkt auf Bild 3 der Anlage skizziert habe, habe der Sachverständige "noch einmal nachgerechnet" und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer Messung wie vorliegend in einer Entfernung von 448,7 m die Winkeländerung "gegen 0" gehe und deshalb auch in diesem Fall nicht auszuschließen sei, dass sich zwei Verkehrsschilder, von denen eines schräg stand, im Ring befunden hätten. Insbesondere durch das schräg stehende Verkehrsschild könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Laserstrahlen umgelenkt worden sei und die Messung deshalb nicht zweifelsfrei dem Fahrzeug des Betr. zugeordnet werden könne.

Die gegen den Freispruch gerichtete Rechtsbeschwerde der StA führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das AG.

 

Entscheidungsgründe

1.

Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Feststellungen im Rahmen der Beweiswürdigung lückenhaft sind und damit den Anforderungen der §§ 261, 267 V StPO i.V.m. § 71 I OWiG nicht entsprechen.

a)

Wenn auch in Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 71 Rn. 106, Göhler OWiG 14. Aufl. § 71 Rn. 42 f., jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen.

b)

Bei einem freisprechenden Urteil müssen die Urteilsgründe gemäß § 267 V StPO ergeben, ob der Betr. für nicht überführt (Freispruch aus tatsächlichen Gründ...

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