Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenseinstellung durch Revisionsgericht wegen fehlenden Eröffnungsbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das im Rahmen der Revision gegen ein Berufungsurteil auf Sachrüge von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses hat als sog. Befassungsverbot auch bei einer wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch neben einer Verfahrenseinstellung die Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und des erstinstanzlichen Urteils zur Folge. Eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht scheidet aus, weil der Eröffnungsbeschluss durch dieses nicht mehr nachgeholt werden kann (u.a. Anschluss an KG, Beschl. v. 16.03.2015 - 161 Ss 20/15 [bei [...]]).

2. Eine Entschädigungsentscheidung nach § 8 I 1 StrEG ist mangels einer das Verfahren abschließenden Entscheidung nicht veranlasst, solange der zur Verfahrenseinstellung führende fehlende Eröffnungsbeschluss - wenn auch in einem neuen Verfahren - nachgeholt werden kann (Anschluss an OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.03.2006 - 3 Ws 61/06 = NStZ-RR 2006, 159).

 

Normenkette

StPO § 203 Abs. 1, § 207 Abs. 1, § 328 Abs. 1; StrEG § 8 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Wegen Diebstahls, Computerbetrugs und versuchten Computerbetrugs in 3 Fällen verurteilte das AG den Angekl. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten. Die hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angekl. hat das LG mit Urteil vom 31.03.2016 als unbegründet verworfen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angekl. führte zur Aufhebung der Urteile von LG und AG sowie zur Einstellung des Verfahrens durch das OLG.

 

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige Revision führt zur Einstellung des Verfahrens wegen Bestehens eines Verfahrenshindernisses.

1. Auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts ist von Amts wegen zu prüfen, ob ein Verfahrenshindernis besteht. Dies ist hier der Fall, weil es - wie die GenStA zutreffend feststellt - an einem Eröffnungsbeschluss gemäß den §§ 203, 207 StPO fehlt. Eine solche Wirkung kann auch nicht dem Haftbefehlserlass vom 04.01.2016 beigemessen werden, zumal die Anklageschrift vom 16.12.2015 dem Angekl. unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von 3 Wochen erst am 04.01.2016 zugestellt wurde und daher die Einlassungsfrist noch lief.

2. Das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis hat die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Einstellung des Verfahrens zur Folge (vgl. BGH, Beschl. v. 13.03.2014 - 2 StR 516/13 [bei [...]] m.w.N.). Mitaufzuheben ist das erstinstanzliche Urteil des AG, weil bereits seinem Erlass das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses entgegenstand und das Urteil daher schon durch das Berufungsgericht nach § 328 I StPO hätte aufgehoben werden müssen (vgl. KG, Beschl. v. 16.03.2015 - 161 Ss 20/15 [bei [...]]). Eine Zurückverweisung an das LG scheidet aus, weil der Eröffnungsbeschluss durch das Berufungsgericht nicht mehr nachgeholt werden kann (KG a.a.O. m.w.N.).

3. Die Einstellung des Verfahrens hat trotz der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch und der hierdurch eingetretenen (horizontalen) Teilrechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils zu erfolgen; denn diese entbindet die Gerichte im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht von der Prüfung und Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen, die - wie im Falle eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses - bereits zu einem sog. Befassungsverbot führen (BGHSt 21, 242 [zum Fall der Revisionsbeschränkung]; KG a.a.O.; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. Einl. Rn. 151c m.w.N.). [...]

4. Eine Entscheidung über die Frage einer etwaigen Entschädigung des Angekl. für die im Anschluss an eine bis zum 21.01.2016 in anderer Sache vollzogene Strafhaft erlittene Untersuchungshaft gemäß § 8 I 1 StrEG ist nicht veranlasst. Da der zur Einstellung des Verfahrens führende fehlende Eröffnungsbeschluss jedenfalls bis zum Eintritt von Verfolgungsverjährung in einem - wenn auch neuen - Verfahren nachgeholt werden kann, mithin eine Verurteilung des Angekl. weiterhin in Betracht kommt, fehlt es an einer das Verfahren abschließenden Entscheidung i.S.d. genannten Bestimmung (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.03.2006 - 3 Ws 61/06 = NStZ-RR 2006, 159; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 8 StrEG Rn. 2 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9534385

wistra 2017, 80

NStZ-RR 2016, 264

AO-StB 2017, 149

StV 2016, 790

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge