Leitsatz (amtlich)

Die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beginnt für den bei der Urteilsverkündung abwesenden Betroffenen gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu laufen.

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 19. September 2006 wird aufgehoben.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen in dessen Abwesenheit am 29.06.2006 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot verhängt.

Gegen das dem Betroffenen und seinem Verteidiger jeweils am 11.07.2006 zugestellte Urteil hat der Verteidiger am 13.07.2006 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit am 21.08.2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage begründet.

Mit Beschluss vom 19.09.2006, dem Verteidiger zugestellt am 21.09.2006, hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da sie nicht binnen eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils begründet worden sei. Im Hinblick auf diesen Beschluss hat der Verteidiger des Betroffenen mit am 28.09.2006 eingegangenem Schreiben vom 27.09.2006 um Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nachgesucht.

II.

Der gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zulässige, insbesondere fristgerechte Antrag auf Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist begründet, weil das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 19.09.2006 zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Rechtsbeschwerde nicht rechtzeitig begründet worden ist.

Die Monatsfrist zur Begründung der am 13.07.2006 eingelegten Rechtsbeschwerde begann für den bei der Urteilsverkündung abwesenden Betroffenen gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nämlich erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu laufen. Gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 Abs. 2 StPO begann die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde mit der Zustellung des Urteils am Dienstag, den 11.07.2006, und endete gemäß § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des Tages, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat, also am Dienstag, den 18.07.2006 um 24.00 Uhr. Somit begann die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO erst am 19.07.2006 um 0.00 Uhr und endete demgemäß an sich - unter Ausblendung der Regelung des § 43 Abs. 2 StPO - mit dem Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat, also am 19.08.2006 um 24.00 Uhr. Da der 19.08.2006 ein Samstag war, endete die Frist jedoch erst mit Ablauf des 21.08.2006 (Montag).

Diese in erster Linie am Wortlaut der §§ 345 Abs. 1, 43 Abs. 1 StPO orientierte und nach Auffassung des Senats gebotene Auslegung entspricht - soweit ersichtlich - der obergerichtlichen Rechtsprechung und der im neueren Schrifttum vertretenen herrschenden Meinung (vgl. aus der Rspr. insbesondere BGHSt 36, 241 f. = NJW 1990, 460 f. unter Ablehnung BayObLG NJW 1968, 904; ferner BayObLG, Beschluss v. 20.05.2003 - 1 ObOWi 129/2003 - und BayObLG VRS 103, 377 f.; OLG Stuttgart vom 02.09.2004 - 4 Ss 418/2004; OLG Köln vom 22.08.2006 - 83 Ss OWi 61/06; a.A. demgegenüber OLG Bamberg, Beschlüsse v. 16.09.2005 und v. 18.10.2005 ≪Gegenvorstellung≫ - 2 Ss OWi 1099/05 - = NZV 2006, 322 f. m. krit. Anm. Kucklick; vgl. im Übrigen - wie hier - aus der Kommentarliteratur neben Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 345 Rn. 4 auch LR/Graalmann-Scheerer StPO 26. Aufl. § 43 Rn. 5; KK/Maul StPO 5. Aufl. § 43 Rn. 25; KK/Kuckein § 345 Rn. 2; Pfeiffer StPO 5. Aufl. § 44 Rn. 3 und § 345 Rn. 1 sowie HK/Temming StPO 3. Aufl. § 345 Rn. 2 und 5; a.A. LR/Wendisch StPO 25. Aufl. § 43 Rn. 5; SK/Weßlau StPO ≪Stand Januar 2003≫ § 43 Rn. 29 und HK/Lemke §§ 42, 43 Rn. 30, allerdings jeweils unter Hinweis auf BayObLG NJW 1968, 904 f.).

Die gegenteilige Ansicht setzt voraus, dass sich die Frist nicht nach § 43 Abs. 1 StPO bestimmt, sondern die Berechnung nach den §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 2. Halbsatz BGB zu erfolgen hat. Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen einer Regelungslücke. Allein aus dem Umstand, dass § 43 Abs. 1 StPO für die Berechnung des Endes einer nach Wochen oder Monaten bestimmten Frist im Unterschied zu § 188 Abs. 2 BGB nicht danach unterscheidet, ob für den Beginn der Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf des Tages fallender Zeitpunkt oder der Beginn eines Tages maßgebend ist, kann jedoch nicht auf eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke geschlossen werden. Denn bei der Auslegung von Fristvorschriften ist zu beachten, dass es sich hierbei um formale - der Rechtssicherheit dienende - Ordnungsvorschriften handelt, die aus sich heraus sofort, eindeutig und klar verständlich sein müssen (BVerfGE 4, 31/37; BGH a.a.O.). Die Annahme einer Regelungslücke mit der Folge, dass die §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 2. Halbsatz BGB Anwendung fänden, widerspräche aber dem Sinn und Zweck einer Ordnungsvorschrift. Daher beinhaltet § 43 A...

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