Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

1.Der Senat tritt der RFH-Entscheidung vom 6. September 1932 VI A 1325/32, Slg. Bd. 31 S. 309, bei, wonach in Fällen des § 222 Absatz 1 Ziffer 2 AO für das Rechtsmittelverfahren die Bestimmung des § 234 AO eine Abänderung des Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen nicht hindert.

2.Für die Bewertung der Wirtschaftsgüter nach § 6 EStG 1939 sind die Verhältnisse am Bilanzstichtag, nicht die bei der Bilanzaufstellung maßgebend.

3.Forderungen an Rüstungsfirmen, die sich auf Lieferungen gründen, die nicht in den Gegenstand einer Hauptlieferung an die Wehrmacht eingegangen sind, fallen nicht unter Art. VIII Buchstabe a KontrRG Nr. 12.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 2, § 234; EStG §§ 4-6; AO § 173/2, § 351/1

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat während des Krieges für eine Firma, die Wehrmachtslieferungen tätigte, Bauarbeiten durchgeführt, von denen Ende 1945 ein Teil noch nicht bezahlt war. Ein 1945 ausgestellter Scheck über 480.882 RM war nicht eingelöst worden, weil die Schuldnerin unter Vermögenskontrolle stand. Die Bfin. setzte deshalb ursprünglich ihre Forderungen in die Bilanz vom 31. Dezember 1945 (eingereicht beim Finanzamt im Juli 1946) nicht ein. Sie wurde dementsprechend im Jahre 1947 für 1945 veranlagt.

Im Mai 1948 erkannte die Schuldnerin auf Grund von Verhandlungen Forderungen der Bfin. in Höhe von 342.556 RM an und zahlte gleichzeitig 40 v. H. = 137.030 RM. Mit Rücksicht hierauf reichte die Bfin. am 16. Juni 1948 dem Finanzamt eine berichtigte Bilanz zum 31. Dezember 1945 ein, in der ihre Forderungen mit 342.556 RM eingesetzt waren. Das Finanzamt nahm eine Berichtigungsveranlagung auf Grund des § 222 Absatz 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) vor, die rechtskräftig wurde.

Nach der Währungsumstellung weigerte sich die Schuldnerin unter Berufung auf § 21 Absatz 4 des Umstellungsgesetzes (UmstG), den Rest der Schuld von 205.526 RM zu zahlen. Die Bfin. erhob im Oktober 1948 Klage, nahm die Klage aber wieder zurück, weil sie aussichtslos erschien. Sie berichtigte nunmehr wiederum ihre Bilanz vom 31. Dezember 1945, indem sie die Forderungen nur mit dem gezahlten Betrag von 137.030 RM einsetzte und verlangte entsprechende Berichtigung der Veranlagung. Das Finanzamt lehnte dies ab, veranlaßte aber eine Betriebsprüfung, die im März 1949 durchgeführt wurde. Der Prüfer stellte hinsichtlich eines anderen Bilanzpostens neue Tatsachen fest, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigten. Infolgedessen berichtigte das Finanzamt die Veranlagung für 1945 erneut, diesmal jedoch nach § 222 Absatz 1 Ziffer 2 AO, gab aber dem Antrag, die umstrittenen Forderungen mit 137.030 RM anzusetzen, nicht statt. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht nahm wie folgt Stellung:

Die Forderungen fielen nicht unter Artikel VIII des Kontrollratsgesetzes (KontrRG) Nr. 12. Es handle sich um keine Unterlieferungen, die in dem Gegenstand einer Hauptlieferung für die Kriegswirtschaft eingegangen seien. Die Lieferungen hätten lediglich dazu gedient, durch Erstellung von Gebäulichkeiten Wehrmachtslieferungen zu ermöglichen. Die Abschreibung sei aber sachlich nicht gerechtfertigt. Die Steuerpflichtige (Stpfl.) habe zu verschiedenen Zeitpunkten zwei Bilanzen für den gleichen Stichtag aufgestellt. Es sei hinsichtlich der Kenntnisse der Verhältnisse der Zeitpunkt der Aufstellung der zweiten Bilanz maßgebend. Dies müsse um so mehr gelten, als die zweite Bilanz zu einer rechtskräftigen Veranlagung geführt habe. Bei Aufstellung der zweiten Bilanz sei der Bfin. bekannt gewesen, daß ihren Forderungen ein Wert von 342.556 RM beizumessen sei. Die Bfin. habe damit rechnen können und müssen, daß ihre Forderungen den Wert besaßen, der das Ergebnis der Verhandlungen mit der Schuldnerin gewesen sei. Daß das später ergangene Umstellungsgesetz eine Handhabe geboten habe, die Forderung zu beseitigen, habe die Bfin. bei Aufstellung dieser Bilanzen nicht wissen und nicht berücksichtigen können. Sie habe die Bewertung auch deshalb für richtig halten können, weil ihr 1945 bereits ein Scheck über einen noch höheren Betrag für Begleichung der Schuld ausgehändigt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) der Stpfl. ist begründet.

Das Finanzamt hält sie in seiner Stellungnahme mit Rücksicht auf ß 234 AO für unzulässig. Diese Ansicht ist rechtsirrig. Wie der Reichsfinanzhof in der Entscheidung vom 6. September 1932 VI A 1325/32, Slg. Bd. 31 S. 309, Reichssteuerblatt - RStBl - 1932 S. 849, ausgesprochen hat, kann in den Fällen des § 222 Absatz 1 Ziffer 2 AO für das Rechtsmittelverfahren § 234 AO nicht eine Abänderung des ersten Steuerbescheides zugunsten des Stpfl. hindern (siehe auch Entscheidung des RFHofs vom 30. Januar 1941 III e 53/39, RStBl 1941 S. 122). Der Senat tritt dieser Auffassung bei. Werden durch eine Buch- und Betriebsprüfung neue Tatsachen von einigem Gewicht festgestellt, die eine niedri...

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