Leitsatz

Nutzungsberechtigung einer "Praxis" zu Wohnzwecken nach entsprechend auszulegender Sondervereinbarung in der Gemeinschaftsordnung

 

Normenkette

§ 15 Abs. 1 WEG

 

Kommentar

  1. Lt. Teilungserklärung und Aufteilungsplan war ein Sondereigentum als "Praxis-Teileigentum" beschrieben. In der Gemeinschaftsordnung zu Nutzungsfragen war u. a. vereinbart, dass "jeder Wohnungseigentümer das Recht habe, die in seinem Sondereigentum stehenden Räume . . . in der der jeweiligen Zweckbestimmung entsprechenden Weise zu nutzen, soweit nicht das Gesetz, die Gemeinschaftsordnung oder die Rechte der übrigen Wohnungseigentümer oder Rechte Dritter entgegenstehen". Weiter heißt es in diesem Zusammenhang: "Zur Ausübung eines Gewerbes oder eines Berufs in den dem Sondereigentum unterliegenden Räumen ist der Wohnungseigentümer nur mit Zustimmung des Verwalters berechtigt. Ausgenommen hiervon sind die Sondereigentumseinheiten im Erdgeschoss, 1. OG und 2. OG, die jederzeit gewerblich genutzt werden dürfen".

    Ein Eigentümer erbat von der Gemeinschaft Zustimmung zur Nutzungsänderung seiner Praxis im 2. OG"zu Wohnzwecken". Die Gemeinschaft lehnte dieses Begehren mehrheitlich ab. Den Beschlussanfechtungsantrag hiergegen und den Verpflichtungsantrag auf Nutzungsgestattung des Teileigentums zu Wohnzwecken lehnte das AG ab, ebenso über sofortige Beschwerde des Antragstellers das LG. Die Rechtsbeschwerde hatte demgegenüber Erfolg.

  2. Die betreffende Einheit war zwar in der Teilungserklärung als "Praxis" (Teileigentum) bezeichnet. Neben der rein sachlichen Teilungserklärung gibt es jedoch eine in sich abgeschlossene schuldrechtliche Gemeinschaftsordnung mit der Vereinbarungsregelung, dass die Sondereigentumseinheiten im EG, 1. und 2. OG gewerblich genutzt werden dürfen, während es für die übrigen im Sondereigentum stehenden Räume hierzu der Zustimmung des Verwalters bedarf. In Auslegung dieser Vereinbarung ist für die im unteren und oberen Teil des Gebäudes liegenden Sondereigentumseinheiten eine differenzierende Regelung als Voraussetzung für eine gewerbliche Nutzung getroffen. Damit wird deutlich, dass sämtliche Sondereigentumseinheiten jedenfalls nicht von vornherein nur dem Zweck der Wohnnutzung oder der gewerblichen Nutzung zugeordnet werden. Vielmehr ist der Vereinbarung zu entnehmen, dass eine Wohnnutzung für alle Sondereigentumseinheiten genehmigungsfrei ist, eine gewerbliche Nutzung dagegen nur für die drei unteren Geschosse. Somit ist eine Wohnraumnutzung der verfahrensgegenständlichen Einheit (Praxis-Teileigentum) ohne Weiteres zulässig.

    Insoweit kommt auch der Bezeichnung einer Einheit in der Teilungserklärung nicht die Bedeutung einer Nutzungsbeschränkung zu.

  3. Die Entscheidung über die Nutzung sämtlicher Wohneinheiten zu Wohnzwecken ist damit nach der Gemeinschaftsordnung nicht dem Mehrheitsprinzip unterworfen. Aus diesem Grund konnte die Eigentümerversammlung auch nicht einen (ablehnenden) Beschluss fassen, da sie insoweit für diese Entscheidung absolut unzuständig war (vgl. BayObLG, NZM 2005, 825, 826). Der Beschluss war folglich nicht nur anfechtbar, sondern nichtig. Da ohne Weiteres die Nutzung auch zu Wohnzwecken zulässig war, fehlte es auch an einer Anspruchsgrundlage für die Zustimmungsverpflichtung der übrigen Eigentümer. Der Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag war nach dem Willen des Antragstellers ohne Bindung an den Wortlaut als Feststellungsantrag auszulegen. Auf die von den Vorinstanzen weiter erörterten Fragen der Zulässigkeit einer Nutzungsänderung kommt es nicht mehr an.
Anmerkung

Richtig ist im Sinne bisher h. M., dass die Beschreibung der Zweckbestimmung einer Sondereigentumseinheit im formellen Teil einer erforderlichen Teilungserklärung (unter Bezugnahme auf den Aufteilungsplan) dann nicht als ausschließliche Zweck- und Nutzungsvereinbarung anzusehen ist, wenn in der nachfolgenden – fakultativen – Gemeinschaftsordnung (Miteigentümerordnung) spezielle Nutzungsvereinbarungen ggf. sogar in Abweichung bzw. in Erweiterung des formellen Eingangsbeschriebs in der Teilungserklärung getroffen wurden. Diese Nutzungssondervereinbarungen sind dann in einer Gemeinschaft vorrangig als spezielle Nutzungsberechtigungsregelungen des betreffenden Sondereigentums zu respektieren.

Entgegen der Auffassung des Senats ist allerdings im konkreten Fall aus meiner Sicht eher die Auslegung der Vereinbarungspassage nahe liegend, dass dort allein eine Nutzungsumwidmung zweckbestimmten Wohnungseigentums in eine gewerbliche oder berufliche Nutzung von der Zustimmung des Verwalters abhängig sei. Darüber hinaus wurde demgegenüber nochmals in dieser Vereinbarung bekräftigt, dass die anfänglich zweckbestimmten Teileigentumseinheiten in den genannten drei unteren Geschossen jederzeit zustimmungsfrei (über den betreffenden Wortlaut hinaus und damit in jeder Art einer Gewerbe- oder Berufsausübung) gewerblich genutzt werden dürften.

Mit dieser Vereinbarungsregelung ist also m. E. nicht gesagt, dass jede dortige Gewerbeeinheit "primär" eine Wohnungseigentumsei...

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