Rz. 1

Das norwegische Kapitalgesellschaftsrecht kennt die GmbH (Aksjeselskap, abgekürzt: AS) und die Aktiengesellschaft (Allmennaksjeselskap, abgekürzt: ASA). Während sich die AS mit der deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) vergleichen lässt, entspricht die ASA der deutschen Aktiengesellschaft (AG).[1] Eine der deutschen Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) entsprechende Gesellschaftsform ist im norwegischen Recht hingegen unbekannt.[2] Die meisten Gesellschaften sind in Norwegen als Kapitalgesellschaft in der Form der AS organisiert.[3]

 

Rz. 2

Ursprünglich gab es im norwegischen Recht nur eine Kapitalgesellschaftsform,[4] die im Jahre 1976 durch das damalige Kapitalgesellschaftsgesetz[5] in zwei Formen aufgespalten wurde. Diese Aufspaltung wurde durch die noch heute geltenden Gesetze aus dem Jahre 1997, nämlich durch das norwegische GmbH-Gesetz (Aksjeloven, abgekürzt: ASL) und das norwegische Aktiengesetz (Allmennaksjeloven, abgekürzt: ASAL), die zum 1.1.1999 in Kraft getreten sind,[6] fortgeschrieben.[7] Durch das ASL und das ASAL wurden die Begrifflichkeiten der "Aksjeselskap" und der "Allmennaksjeselskap" in das norwegische Recht eingeführt[8] und die gesetzlichen Grundlagen für die beiden Gesellschaftsformen – AS und ASA – geschaffen.

 

Rz. 3

Auf die AS kommen zunächst die Bestimmungen des ASL zur Anwendung. Für umwandlungsrechtliche Maßnahmen und für die Betriebsversammlung, die ein mitbestimmungsrechtlich verankertes Organ der AS ist, verweist das ASL aber teilweise auf die Bestimmungen des ASAL, so dass insoweit ergänzend die Bestimmungen des ASAL anwendbar sind.

Darüber hinaus finden auf die AS weitere Gesetze wie beispielsweise das norwegische Abschlussprüfungsgesetz (Revisorloven, abgekürzt: REVL), das norwegische Buchführungsgesetz (Regnskapsloven, abgekürzt: RSKL), das norwegische Firmengesetz (Foretaksnavnloven, abgekürzt: FTNAVNL), das norwegische Handelsregistergesetz (Foretaksregisterloven, abgekürzt: FREGL) und das norwegische Insolvenzgesetz (Konkursloven, abgekürzt: KKL) sowie im Einzelfall das norwegische Wertpapierregistergesetz (Verdipapirsentralloven, abgekürzt: VPSL) Anwendung. Auf umwandlungsrechtliche Maßnahmen, die einen Betriebsübergang begründen, und auf den Geschäftsleiter, der – neben dem Verwaltungsrat – ein Geschäftsführungsorgan der AS ist, kommen außerdem die Bestimmungen des norwegischen Arbeitsschutzgesetzes (Arbeidsmiljloven, abgekürzt: AML) zur Anwendung.

 

Rz. 4

In Norwegen gilt nach überwiegender Ansicht[9] die Sitztheorie.[10] Die norwegischen Gesellschaften waren daher lange Zeit vor dem Zuzug nicht-norwegischer Gesellschaften geschützt, da der Umzug derartiger Gesellschaften nach Norwegen – aus norwegischer Sicht – zu deren Auflösung führte.[11] Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit,[12] die in Norwegen aufgrund des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung findet,[13] musste dann jedoch auch Norwegen den Zuzug europäischer Gesellschaften akzeptieren.[14]

Die neuen Zuzugsmöglichkeiten zugunsten europäischer Gesellschaften führten zu einem erheblichen Druck auf die AS.[15] Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten des EWR wurden nämlich in Norwegen in großer Anzahl als Zweigniederlassung aktiv.[16] Angesichts dieser Entwicklung wurde das ASL in vielen Bereichen geändert, um die Gründung und Organisation der AS zu erleichtern und sie auf diesem Wege im Wettbewerb mit anderen europäischen Gesellschaften zu stärken.

[1] Siehe zu den Gesellschaftsorganen der ASA einerseits und der AG andererseits sowie zu den insoweit bestehenden Unterschieden Mörsdorf, NTS 2008:2, 85 ff.
[2] Siehe zur norwegischen Kommanditgesellschaft (Kommandittselskap – KS) Mörsdorf, RIW 2011, 133, 134.
[3] Bråthen, S. 29.
[4] Vgl. Gesetz Nr. 4 vom 6.7.1957.
[5] Gesetz Nr. 59 vom 4.6.1976.
[6] M. Aarbakke u.a., § 21–1 Rn 0.1.
[7] Andens, Selskapsrett, S. 4.
[8] Andens, Aksjeselskaper og allmennaksjeselskaper, S. 5.
[9] Siehe Mörsdorf, NTS 2009:1–2, 28, 30.
[10] Bråthen, in Festskrift til Helge Johan Thue 70 år, S. 198, 199, und Mörsdorf, NTS 2018:1, 1, 5 ff.
[11] Mörsdorf, NTS 2009:1–2, 28, 31.
[12] Centros, Urt. v. 9.3.1999 in Sachen C-212/97, Überseering, Urt. v. 5.11.2002 in Sachen C-208/00, und Inspire Art, Urt. v. 30.9.2003 in Sachen C-167/01.
[13] Siehe Art. 6 des EWR-Abkommens und Art. 3 Nr. 2 des Agreement between the EFTA States on the Establishment of a Surveillance Authority and a Court of Justice. Vgl. auch Bråthen, S. 44, und Sundby, Lov og Rett 2005, 387, 388.
[14] Mörsdorf, NTS 2009:1–2, 28, 34.
[15] Mörsdorf, RIW 2012, 211, 212.
[16] Siehe zu den Folgen des Brexits für englische Gesellschaften mit norwegischer Zweigniederlassung Mörsdorf, IWRZ 2016, 236 f.

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