Verfahrensgang

VG Hannover (Urteil vom 29.08.2001; Aktenzeichen 9 A 4148/00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 9. Kammer – vom 29. August 2001 geändert:

Der Bescheid des Landkreises Hannover vom 28. März 2000 und dessen Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägerinnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Betreuung im Internat B. College in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75.051,88 DM zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor den Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine Internatsunterbringung in England im Rahmen der Gewährung von Jugendhilfe.

Die am 01.06.1989 geborenen Klägerinnen sind Zwillinge. Bei beiden wurden „Cerebrale Dysfunktion bei Zustand nach Risiko-Zwillingsschwangerschaft, FG, sensomotorische Wahrnehmungsstörung, Muskeltonusdysregulation, Sprachentwicklungsverzögerung” diagnostiziert (Arztberichte Dr. G., Zentrum für Kindesentwicklung – Sozialpädiatrisches Zentrum –,H., vom 16.12.1997). Das Versorgungsamt Hannover erkannte beide Kinder mit Bescheiden vom 30.09.1999 als schwerbehindert mit dem Grad der Behinderung (GdB) 50 an.

Die Klägerin zu 1) besuchte nach Zurückstellung vom Schulbesuch 1995/1996 zunächst den Schulkindergarten und ab dem Schuljahr 1996/1997 die erste Klasse der I. Schule in J., einer Schule für Sprachbehinderte. Zum 22.04.1998 wechselte die Klägerin zu 1) an die K. Schule, eine Schule für Lernhilfe. Im Schuljahr 1998/1999 nahm sie dort am Unterricht der zweiten Klasse teil.

Die Klägerin zu 2) wurde ebenfalls im Schuljahr 1995/1996 vom Schulbesuch zurückgestellt und besuchte zunächst den Schulkindergarten, in den folgenden Schuljahren die erste und die zweite Klasse der Ratsschule L.. Zum 22.04.1998 wechselte die Klägerin zu 2) an die K. -Schule. Mit Zeugnis vom 22.07.1998 wurde sie in die dritte Klasse versetzt und nahm im Schuljahr 1998/1999 zunächst dort am Unterricht teil.

Im Oktober 1998 wurden die beiden Klägerinnen aufgrund erheblicher Verhaltensauffälligkeiten von ihren Eltern in das B. College in England umgeschult. An diesem Internat mit Regelbeschulung wird für Kinder mit Lernbehinderungen und Legasthenie Einzelunterricht und Unterricht in Kleinklassen durchgeführt. Die Kosten des Schulbesuchs betragen laut Bescheinigung der Schule vom 18.02.2000 für die Klägerin zu 1) jährlich £ 8.063 und für die Klägerin zu 2) £ 8955.

Am 26.08.1999 beantragten die Eltern der Klägerinnen beim Landkreis Hannover die Gewährung von Eingliederungshilfe. Dazu legten sie ein am B. College erstelltes psychologisches Gutachten vom 26.11.1999 vor, wonach die Klägerinnen seit ihrer Aufnahme erhebliche Fortschritte gemacht hätten. Der Landkreis lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28.03.2000 ab, da weder eine seelische Behinderung der Klägerinnen erkennbar sei noch eine solche drohe. Die Klägerinnen erhoben Widerspruch und legten ein weiteres an der Schule erstelltes psychologisches Gutachten vom 16.06.2000 vor, wonach sich ihre Situation durch die Förderung in dem Internat verbessert habe und es derzeit keine Hinweise auf emotionale oder psychische Störungen mehr gebe. Der Landkreis wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2000, zugestellt am 03.08.2000, zurück und ergänzte die bisher gegebene Begründung dahin, das B. College sei keine Einrichtung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von einer seelischen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche.

Mit der am 04.09.2000 erhobenen Klage haben die Klägerinnen ihr Begehren weiterverfolgt und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Im April 2001 wurden sie von der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. N. und dem Dipl.-Psychologen und Psychoanalytiker N. untersucht. Mit Befundbericht vom 25.05.2001 stellten die Gutachter fest: Bei den Klägerinnen bestehe eine Lernbehinderung mit dringendem schulischen Förderbedarf. Das Verbleiben im B. College und die Fortsetzung der dortigen Förderung seien notwendig, sonst drohe bei beiden Kindern eine schwere seelische Behinderung.

Das Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht lehnte den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ab (Beschluss vom 29.08.2001 – 9 B 2703/01). Die Beschwerde blieb beim erkennenden Senat nach Anhörung der Gutachter ohne Erfolg (Beschluss vom 20.12.2001 – 4 MB 3671/01).

Die Klägerinnen haben zur Begründung ihrer weiterverfolgten Klage auf die bisherigen Untersuchungsergebnisse verwiesen und ergänzend vorgetragen: Die Fortsetzung des...

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