Rz. 1

Gemäß § 309 Nr. 4 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die der Verwender von der gesetzlichen Obliegenheit[1] freigestellt wird, den anderen Vertragsteil zu mahnen oder ihm eine Frist für die Leistung oder Nacherfüllung zu setzen.

 

Rz. 2

Die gesetzliche Obliegenheit, den anderen Vertragsteil zu mahnen, enthält § 286 Abs. 1 BGB. Nach dieser Norm kommt der Schuldner, der auf eine Mahnung des Gläubigers nicht leistet, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, durch die Mahnung in Verzug. Mit Verzugsbeginn verschlechtert sich die Rechtsposition des anderen Vertragsteils deutlich: Gemäß § 287 BGB haftet der Schuldner während des Verzugs für jede Fahrlässigkeit; er haftet sogar für Zufall, sofern nicht der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Für Geldschulden sind gemäß § 288 Abs. 1 BGB Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Bei Rechtsgeschäften, an denen kein Verbraucher beteiligt ist, beträgt der Verzugszins für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 3

Gesetzliche Obliegenheiten, dem anderen Vertragsteil eine Frist für die Leistung oder Nacherfüllung zu setzen, führen bei Nichteinhaltung der Frist ebenfalls zu schwerwiegenden Rechtsnachteilen des Schuldners. So kann der Gläubiger gemäß § 281 Abs. 1 S. 1 BGB unter den Voraussetzungen des § 280 BGB Schadenersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. § 323 Abs. 1 BGB gewährt dem Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen ein Rücktrittsrecht, wenn der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbringt und der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Weitere Rechte und Ansprüche des Gläubigers im Falle der erfolglosen Bestimmung einer angemessenen Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gewähren etwa § 250 S. 1 BGB (Schadenersatz in Geld bei Nichtherstellung der Naturalrestitution), § 637 Abs. 1 BGB (Ersatz von Aufwendungen für die Beseitigung von Mängeln beim Werkvertrag durch den Besteller). § 651c Abs. 3 S. 1 BGB (Ersatz von Aufwendungen beim Reisevertrag für die Abhilfe von Mängeln durch den Kunden) und § 651e Abs. 2 S. 1 BGB (Kündigung des Reisevertrags bei Nichtabhilfe von Mängeln durch den Reiseveranstalter) enthalten zwar ebenfalls ein Erfordernis der Fristsetzung als Voraussetzung für die Geltendmachung von weiteren Rechten; für diese Vorschriften dürfte die Regelung des § 309 Nr. 4 BGB jedoch keine praktische Auswirkung haben, weil sie Rechte des Kunden des Reiseveranstalters regeln und diese in der Regel keine eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwenden.[2]

 

Rz. 4

Die geschilderten Rechtsfolgen wie Rücktritt oder Schadenersatz können für den Schuldner sehr nachteilig sein. Der Gesetzgeber hat daher zum Schutz der Schuldner bestimmt, dass sie erst nach erfolgloser Mahnung oder Fristsetzung eintreten dürfen. Schuldrechtliche Bestimmungen sind jedoch in der Regel abdingbar. Es versteht sich, dass der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen versucht ist zu bestimmen, dass diese gravierenden Rechtsfolgen zum Nachteil des Schuldners eintreten können, ohne dass eine Mahnung oder Fristsetzung für die Leistung hierfür erforderlich wäre. Aus diesem Grunde wird § 309 Nr. 4 BGB, der derartige Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für unwirksam erklärt, als bedeutenden Beitrag des Gesetzgebers zur "Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung innerhalb des Rechts der Leistungsstörungen" angesehen.[3] § 309 Nr. 4 BGB entspricht dem im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung außer Kraft getretenen § 11 Nr. 4 AGBG. Anstelle der in § 11 Nr. 4 AGBG erwähnten Nachfristsetzung ist zwar in § 309 Nr. 4 BGB nunmehr die Rede von einer "Frist für die Leistung oder Nacherfüllung". Sachliche Änderungen waren hierdurch jedoch nicht beabsichtigt.[4]

[1] Gesetzliche Obliegenheiten stellen keine rechtlichen Verpflichtungen dar; ihre Befolgung ist lediglich ein Gebot des eigenen Interesses, da der insoweit Belastete bei Nichtbefolgung einen Rechtsverlust oder rechtliche Nachteile erleidet, vgl. Palandt/Grüneberg, Einl. vor § 241 Rn 13. Beispiele für gesetzliche Obliegenheiten sind etwa die Bestimmungen in § 149 BGB (Anzeigepflicht), § 254 Abs. 2 BGB (Schadensminderungspflicht), § 300 BGB (Annahmepflicht) und § 377 HGB (Untersuchungs- und Rügepflicht). Nach der vorstehenden Definition handelt es sich bei der Mahnung strenggenommen nicht um eine gesetzliche Obliegenheit im klassischen Sinne: Sie ist zwar im Interesse des Mahnenden; der Betreffende erleidet jedoch im Falle der Nichtmahnung keinen Rechtsverlust, sondern er vermag lediglich seine Rechtsposition nicht zu verbessern. Die Mahnung ist daher lediglich eine Voraussetzung für die Geltendmachung von weiteren Rechten des Mahnenden.
[2] Ebenso WLP/Dammann, § 309 Nr. 4 Rn 20; Staudinger/Coester-Waltje...

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