Rz. 7

Eine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung – Abs. 2 Nr. 1 setzt zunächst voraus zu bestimmen was ohne die zu überprüfende Klausel gilt. Es ist daher ein Rechtslagenvergleich erforderlich, die Rechtslage mit der Klausel wird mit der Rechtslage ohne die Klausel verglichen. Dieser Rechtslagenvergleich[14] ist sowohl bei der Inhaltskontrolle wie auch bei der Frage, ob eine Klausel der Inhaltskontrolle unterworfen ist – § 307 Abs. 3 S. 1 BGB – notwendig. Dieser Betrachtung hat sich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen.[15] Hierbei ist das dispositive Gesetzesrecht heranzuziehen, aber auch ein Regelungsgehalt, der aus §§ 157, 242 BGB gewonnen werden könnte.[16] Unter Rechtsvorschriften sind daher nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinne zu verstehen, sondern auch die Natur des Vertrags und sonst allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze.

 

Rz. 8

Soll mit einer Klausel eine Verbesserung gegenüber der gesetzlichen Regelung erzielt werden, etwa indem diese einen "Erziehungseffekt" beinhaltet, so reicht dies für die Durchführung einer Inhaltskontrolle aus.[17] Damit erschließt sich in dieser Frage sowohl das Ob einer Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB) wie auch das Kriterium für die Durchführung der Inhaltskontrolle nach Abs. 2 wie auch Abs. 1, einschließlich dem Transparenzgebot. Die Inhaltskontrolle soll daher den von der AGB-Klausel abweichenden Gerechtigkeitsgehalt der dispositiven Norm zur Geltung bringen und der Verwender soll zurück in die Werteordnung von Gesetz und Recht geführt werden. Vertragsklauseln sind daher an den normativen Wertungen der gesetzlichen Interessenbewertung zu messen. Damit kann der Vertrag wie auch Vertragsklauseln nicht darauf überprüft werden, ob dieser sinnvoll ist oder die Klauseln sinnvoll oder sachgerecht sind. Auch können die normativen Maßstäbe der Interessenbewertung nicht aus der Vereinbarung zwischen den ­Parteien entnommen werden, denn hierdurch hätten es die Parteien selber in der Hand, die normativen Bewertungsgrundsätze ihrer Vereinbarung zu bestimmen.[18] Entscheidend ist nicht, ob für den konkreten Vertrag eine gesetzliche Regelung im dispositiven Recht vorhanden ist, die passt, vielmehr kommt es im Verbands- wie im Individualverfahren darauf an, welche Qualität Rechtsvorschriften[19] haben müssen, um eine Inhaltskontrolle durchzuführen. Gemeint sind zwar nicht primär zwingende Normen, denn bei einem Verstoß hiergegen kann offenbleiben, ob AGB oder Individualvereinbarungen vorliegen. Zwingende Normen eröffnen jedoch in jedem Fall eine Rechtslagendivergenz. Der Verstoß gegen zwingendes Recht, etwa 651h BGB, stellt sogar eine besonders intensive Rechtslagendivergenz dar und das Unterlassungsverfahren wie auch das Vorgehen von Wettbewerbern nach dem UWG steht hier offen. Nicht fern liegt auch der Gedanke, das Transparenzgebot selber als zwingende Norm in diesem Sinne zu begreifen; es wurde ja ursprünglich aus allgemeinen Rechtsgrundätzen i.V.m. § 9 AGBG und § 11 Nr. 10b AGBG abgeleitet und ist sachlich nur zur Klarstellung in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB übernommen worden. Sie erklärt, weshalb hier stets von einer Rechtslagendivergenz bei Verstoß gegen das Transparenzgebot auszugehen ist. Dispositive Normen, die nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen, stehen im Vordergrund des erforderlichen Rechtslagenvergleichs, sie sind die primär gemeinten Bezugsnormen und der eigentliche Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle. Dies bedeutet umgekehrt: Werden Preise und Leistungen durch das Gesetz geregelt, so sind Abweichungen hierzu, auch soweit Mindest- oder Höchstsätze über- oder unterschritten werden, kontrollfähig. Maßstab einer Inhaltskontrolle können auch analog anwendbare Rechtsnormen sein. Soweit etwa Handelsvertreterrecht auf Vertragshändler analog anzuwenden ist, so bei § 89b HGB, liegt auch eine Rechtslagendivergenz bei einer abweichenden Regelung in Vertragshändlerverträgen vor.[20] Auch der Bundesgerichtshof hat schon sehr früh erkannt, dass eine Inhaltskontrolle nicht nur ­gegenüber solchen Klauseln stattfinde, "durch die eine von den nachgiebigen Rechtsvorschriften abweichende Regelung getroffen" werde, sondern auch gegenüber solchen, "die eine vom Gesetzgeber bewusst oder unbewusst gelassene Lücke ausfüllen".[21] Nicht entscheidend ist hierbei jedoch die Lücke, sondern dass es ungeschriebene Rechtsgrundsätze gibt, die eingreifen.

 

Rz. 9

Es kommt also nicht darauf an, ob der vergleichbare Gerechtigkeitsgehalt aus einer (ausdrücklichen) gesetzlichen Bestimmung folgt oder aber der Natur des Vertrags oder dem Vertragszweck; beides wird ausdrücklich in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB als Gerechtigkeitsgehalt benannt und bestätigt.[22] Derartige ungeschriebene Grundsätze sind etwa (Beispiele aus der Rechtsprechung):

Recht des Käufers, über Art und Menge der zu liefernden Ware zu bestimmen;[23]
Leistungs- und Schutzpflichten aus § 242 BGB, sofern diese nur im Hinblick auf den Vertrag so wesentlich sind, dass eine Freizeichnung des...

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