Zusammenfassung

Corona mag in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sein – das Reiserecht kämpft aber immer noch mit Pandemiefällen. Der BGH hat eine wegweisende Entscheidung getroffen, die die Risikoverteilung klarstellt. Die Entscheidung hat über die Corona-Pandemie hinaus erhebliche Bedeutung.

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 19.9.2023, X ZR 103/22) hat für Klarheit hinsichtlich einer in Streit stehenden Frage im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesorgt. Die Entscheidung hat allerdings auch über die Corona-Pandemie hinaus erhebliche Bedeutung. Der BGH hat entschieden, dass es grundsätzlich möglich sei, Umstände als außergewöhnlich i.S.d. § 651h Abs. 3 BGB einzuordnen, wenn diese bereits im Zeitpunkt der Buchung vorlag oder absehbar waren. Dies ist aber nur eine grundsätzliche Einordnung, denn der BGH führt weiter aus, dass es auch von Bedeutung sei, ob die mit der Durchführung der reiseverbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren.

Wer also eine Reise bucht, obwohl Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte, für den sei es zumutbar, die Reise anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen (so Leitsatz 3 der Entscheidung).

Die Entscheidung

Der BGH hat also die immer wieder streitig diskutierte Frage beantwortet, ob eine Reise storniert werden kann, wenn bereits bei Buchung außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände für den Reisenden erkennbar vorlagen oder mit diesen zu rechnen war, die dann im Zeitpunkt des Reiseantritts verwirklicht waren.

Die Entscheidung wurde letztlich erst notwendig, da die veränderte Formulierung in der Vorschrift des BGB, die sich mit dem kostenfreien Rücktrittsrecht bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen befasst (§ 651 h Abs. 3 BGB), den unionsrechtlich geprägten Begriff "unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände", der bereits aus der Fluggastrechteverordnung EU-VO 261/04 bekannt ist, verwendet. Hiermit einher gehen die Ablösung des zwischen 1994 und 2018 verwandten Begriffs der "höheren Gewalt". Während die höhere Gewalt als Tatbestandsmerkmal stets die Unvorhersehbarkeit der die Reise beeinträchtigenden Umstände enthielt, ist diese Vorhersehbarkeit bei § 651 h Abs. 3 und dem nunmehr verwandten Begriff der unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände nicht mehr Tatbestandsmerkmal. Dies führte die Rechtsprechung zu der Problematik, dass Pauschalreisende schon in Kenntnis der Pandemie ab dem Frühjahr 2020 und noch später Reisen buchten, und diese dann zu einem späteren Zeitpunkt kostenfrei stornieren wollten.

Nach der alten Rechtslage wäre eine solche Stornierung kaum möglich gewesen, da die Corona-Pandemie und deren Auswirkung jedenfalls vorhersehbar waren (wenn auch nicht in allen Einzelheiten). Eine vollständige Abkehr von dieser Überlegung (wer die Gefahr kennt, kann sich nicht später darauf berufen, er wolle jetzt doch nicht reisen) hätte letztlich die für Reiseveranstalter überaus missliche Konsequenz gehabt, dass Kunden keinerlei Risiko tragen, die Reisebuchungen vornehmen, obwohl bereits zum Zeitpunkt der Reisebuchung vorhersehbar oder gar sicher war, dass die Reise durch unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände beeinträchtigt sein würde. Die Buchung selbst wäre also für den Kunden risikolos möglich gewesen und der Reiseveranstalter hätte bis knapp vor Reiseantritt die Reise vorhalten müssen. Der BGH begründet dies – im Ergebnis zutreffende – Ergebnis mit der Überlegung, dass § 651 h Abs. 3 S. 1 BGB und Art. 12 Abs. 2 der EU-Pauschalreiserichtlinie dem Reisenden die Möglichkeit bieten wollen, sich ohne finanzielle Belastung vom Vertrag zu lösen, wenn die Durchführung der Reise mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen oder erheblichen Risiken verbunden wäre. Der BGH geht davon aus, dass jedenfalls dann keine erhebliche Beeinträchtigung und damit eine Zumutbarkeit vorliegt, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen.

In diesem Zusammenhang ist auch der inzwischen vorliegende Schlussantrag der Generalanwältin Laila Medina v. 21.9.2023 in den Rechtssachen C 414/22 (Doc LX Travel Events GmbH) und C 584/22 (Kiwi Tours GmbH) von Bedeutung, wonach es für die Frage, ob ein Rücktritt des Reisenden bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen kostenfrei möglich ist, ist nur auf den Zeitpunkt des Rücktritts ankommt und später eintretende Umstände, die nach Eintreten einen kostenfreien Rücktritt erlauben würden, nicht zu berücksichtigen sind. In beiden Fällen zeigt sich deutlich, dass die zum Teil überbordenden Auswirkungen des Verbraucherschutzes, die einseitig Risiken auf Reiseveranstalter verlagert haben, durch die Rechtsprechung eingegrenzt werden sollen.

Fazit

Wer also bucht, obwohl er u...

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