Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Pflegegeld. Nichterreichen des für die Pflegestufe I erforderlichen Grundpflegebedarfs. Ausscheiden eines Leistungsanspruchs bei fehlender Sicherstellung der notwendigen Pflege durch Pflegebedürftigen

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Pflegegeld setzt neben einem Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten für die Pflegestufe I zusätzlich voraus, dass der Pflegebedürftige seine Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Existiert keine präsente Pflegeperson und kann die Pflege wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls bereits aus praktischen Gründen nicht in zumutbarer Weise geleistet werden, scheidet ein Leistungsanspruch aus.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Ansprüche auf Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).

Der am ... 1932 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und beantragte erstmals am 20. Februar 2001 und am 20. Januar 2004 Leistungen nach dem SGB XI. Nach den aufgrund dieser Anträge von der Beklagten eingeholten Gutachten der Pflegefachkraft K. vom 12. April 2001 sowie der Pflegefachkraft H. vom 4. März 2004, dem Dipl.-Med. H. und der Pflegefachkraft G. vom 19. Mai 2004 (alle für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK)) ergab sich in der Grundpflege und in der Hauswirtschaft jeweils kein Pflegebedarf (0 Minuten). Die Pflegefachkraft A. hatte in ihrem Gutachten vom 8. August 2001 den Zeitaufwand für die Grundpflege ebenfalls mit 0 Minuten, jedoch den Aufwand für die Hauswirtschaft mit 15 Minuten eingeschätzt und dies mit der Notwendigkeit von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten (u. a. Reinigung der Wohnung; Wäsche) begründet.

Am 17. Mai 2005 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung von Pflegegeld und gab an, er benötige insbesondere wegen einer beidseitigen Hüftgelenkserkrankung fremde Hilfe. Eine zehnjährige politische Haft zu DDR-Zeiten habe ihm schweren gesundheitlichen Schaden zugefügt. Die Beklagte ließ ein weiteres Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den MDK erstatten. Die Pflegefachkraft K. gab in ihrem Pflegegutachten vom 8. Juli 2005 an: Der Kläger bewohne drei Zimmer im Parterre eines kleinen Einfamilienhaus in "chaotischen" häuslichen Verhältnissen. Er sammle zahlreiche Gegenstände und habe sein Objekt mit mehreren Überwachungskameras und Schlössern gegen das Betreten von Dritten gesichert. Seit dem 10. Juli 2004 habe er einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "RF". Seit Jahren leide er an Hüftbeschwerden, schmerzhaften Bewegungsstörungen und nach einer Gallenoperation auch gehäuft unter Verdauungsproblemen. Er suche mit seinem Personenkraftwagen bzw. dem Moped in unregelmäßigen Abständen den Hausarzt - Dr. G. - in B. auf. Derzeit nehme er keine Medikamente. Pflegepersonen seien nicht im Einsatz. Er habe krankheitsbedingt einen verlangsamten Gang, auch bereite ihm das Bücken Schwierigkeiten. Im Wohnbereich sei er uneingeschränkt gehfähig, müsse sich jedoch außerhalb seines Wohnumfeldes mit einem Gehstock fortbewegen. Daneben habe er migräneartige Kopfschmerzen und Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Unterarms angegeben. Die Vorgeschichte einer langjährigen Schizophrenie sei bekannt, werde von ihm jedoch vehement bestritten. Als Diagnosen mit Pflegebedarf bestünden:

Coxarthrose beidseits

Anhaltende Verdauungsprobleme bei Zustand nach Cholezystektomie.

Nach ihrer Einschätzung könne der Kläger die tägliche Körperpflege und die hauswirtschaftliche Verrichtung vollständig selbst durchführen. Der Zeitaufwand in der Grundpflege und im Bereich der Hauswirtschaft betrage daher 0 Minuten.

Dipl.-Med. L. war bei der Untersuchung des Klägers am 4. Juli 2005 anwesend und gab in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 8. Juli 2005 aus psychiatrischer Sicht an: Der Kläger lehne jede nervenärztliche Behandlung ab und habe keinerlei Krankheitseinsicht. Er neige zu impulsivem Verhalten sowie unberechenbaren "Aktionen" und sei bekannt für das häufige Verfassen bedrohender Schreiben oder auch für Drohanrufe. Diagnostisch handele sich um eine Schizophrenie mit ständigen Wahnvorstellungen. Seine Stimmung sei extrem wechselhaft, teilweise aggressiv, dann wieder urplötzlich freundlich, überschwänglich, regelrecht charmant. Eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung bestehe derzeit nicht. Trotz völlig chaotischer und verwahrloster Wohnverhältnisse versorge er sich noch ausreichend selbst. So fahre er noch Pkw bzw. Moped und nehme am gesellschaftlichen Leben des Ortes teil. Der Pflegebedarf werde insbesondere mit den Beschwerden im Hüftbereich und den Verdauungsstörungen nach einer Gallenoperation begründet.

Mit Bescheid vom 21. Juli 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Pflegeleis...

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