Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Erhebung von Säumniszuschlägen. Verjährung. Verwirkung. Nachholung einer versäumten Anhörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Nachholung einer versäumten Anhörung ist bei Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich, wenn alle entscheidungserheblichen Tatsachen im Ausgangsbescheid genannt worden sind, dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und dessen sachgerechte Rechtsverteidigung gewährleistet ist.

2. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsätzlich werden Beiträge vorenthalten, wenn der Zahlungspflichtige in Kenntnis seiner Beitragspflicht bewusst und gewollt keine Beiträge an den Versicherungsträger abführt. Dabei ist bedingter Vorsatz ausreichend. Hierbei genügt es, wenn zur anfänglichen Gutgläubigkeit noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist von 4 Jahren Vorsatz hinzutritt.

3. Eine Betriebsprüfung kann nicht ohne weiteres einen Vertrauenstatbestand begründen und eine Beitragsnachforderung verwirken lassen.

4. Säumniszuschläge sind regelmäßig erst ab Kenntnis bzw fahrlässiger Unkenntnis der Beitragsschuld zu erheben.

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2009 wird abgeändert: Der Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. April 2006 wird aufgehoben, soweit die Beitragsforderung einschließlich Säumniszuschläge einen Betrag in Höhe von 50.699,34 EUR übersteigt.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten beider Instanzen trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 47.582,44 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Erhebung von Säumniszuschlägen.

Die 1997 privatisierte Klägerin ging aus dem VEB Elektromotorenwerk (Elmo) W. (3.260 Beschäftigte im Jahr 1989) hervor. Sie ist Herstellerin von Spezialantrieben mit über 500 Arbeitnehmern. Sie gehört zur ...-Gruppe mit insgesamt zirka 1.500 Mitarbeitern.

Die Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) bereits im Jahr 2001 (Prüfzeitraum 1997 bis 2000) durch. Es ergab sich keine Beitragsnachforderung. Anschließend fand im Jahr 2001 eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Hier ergab sich eine Zahlungsnachforderung von 58.137,68 DM. Im Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 19. Oktober 2001, eingegangen bei der Klägerin am 19. November 2001, beanstandete das Finanzamt Q. unter anderem die Nichtversteuerung von Abfindungszahlungen bei Reduzierung der Arbeitszeit in den Jahren 1998 und 1999 sowie die Nichtversteuerung der Übernahme eines gegen den Arbeitnehmer H. verhängten Bußgeldes im Jahr 2000.

Vom 11. April 2005 bis 02. Mai 2005 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV durch. Mit Bescheid vom 01. Juni 2005 forderte die Beklagte insgesamt 50.823,10 EUR nach. In der Nachforderung seien Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV in Höhe von 13.459,19 EUR enthalten. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sich nach den Feststellungen des zuständigen Finanzamtes anlässlich der Lohnsteuer-Außenprüfung Steuernachforderungen ergeben hätten, die auch beitragsrechtliche Konsequenzen auf dem Gebiet der Sozialversicherung nach sich ziehen würden. Nach §§ 14 und 17 SGB IV i. V. m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Ansprüche auf Beiträge würden grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien, verjähren (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Wegen der engen Anknüpfung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an das Steuerrecht gelte bei Beitragsansprüchen auf der Grundlage eines Berichtes/Bescheides der Finanzverwaltung die 30jährige Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Die Klägerin hätte auf Grund des Prüfberichtes/Bescheides der Finanzbehörde Beiträge zahlen oder sich bei der zuständigen Einzugstelle vergewissern müssen, dass eine Beitragspflicht nicht vorgelegen habe. Übernehme ein Arbeitgeber eine Geldstrafe, handele es sich um steuer- und beitragspflichtigen Arbeitslohn. Bei gezahlten Abfindungen aufgrund der Reduzierung der Arbeitszeit handele es sich ebenfalls um beitragspflichtigen Arbeitslohn im Sinne der Sozialversicherung. Der Freibetrag des § 3 Nr. 9 Einkommensteuergesetz (EStG) sei nur bei einer Abfindung wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses anzuwenden. Bei Arbeitnehmerinnen, die eine Altersrente für Frauen ab dem 60. Lebensjahr bezögen, gelte der allgemeine und nicht ermäßig...

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