Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Sozialversicherungsfreiheit. Fremdgeschäftsführer in einer Familiengesellschaft mit freier Hand in der Führung der Geschicke der GmbH. alleinige Branchenkenntnis. Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot. fehlende Beteiligung am Unternehmenskapital. Alleininhaber einer Einzelfirma vor Umwandlung in GmbH. Rechtsmacht. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Beurteilung einer abhängigen Beschäftigung iSv § 7 Abs 1 SGB 4 eines Fremdgeschäftsführers einer GmbH ist nicht maßgeblich von der arbeitsvertraglichen Ausgestaltung (Geschäftsführervertrag) auszugehen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse entgegenstehen und erkennbar eine Familien-GmbH betrieben wurde (hier: fehlende Weisungsgebundenheit, Selbstkontrahierungsbefugnis, frühere Alleininhaberschaft als Einzelfirma des Geschäftsführers, Umwandlung des selbstständig betriebenen kaufmännischen Unternehmens in eine GmbH, Eintragung der damaligen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau als alleinige Gesellschafterin und Bestellung des bisherigen Betriebsinhabers als Geschäftsführer ("Kopf und Seele") mit dem Ziel der Abmilderung möglicher Scheidungsfolgen).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.07.2015; Aktenzeichen B 12 R 1/15 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.295,50 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin für den Beigeladenen zu 1. - ihrem alleinigen Geschäftsführer - im Zeitraum 02. Mai 2002 bis 13. Oktober 2003 Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge i.H.v. 4.295,50 EUR zu entrichten hat.

Der Beigeladene zu 1. führte vor Eintragung der Klägerin als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) von 02. August 1994 an den Betrieb selbständig als einzelkaufmännisches Unternehmen und war seitdem privat kranken- und pflegeversichert. Im Jahr 2000 trennte er sich von seiner Ehefrau und lebte mit der in seiner Einzelfirma beschäftigten J. R. (später: R.-P.) in Lebensgemeinschaft. Am 19. Juli 2002 wurde die Klägerin als GmbH mit der heutigen Ehefrau des Beigeladenen zu 1., Frau R.-P., als Alleingesellschafterin mit einer Einlage von 25.000 EUR in das Handelsregister eingetragen. Der Beigeladene zu 1. wurde am 02. Mai 2002 noch von der Vorgesellschaft unter Befreiung von § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Geschäftsführer bestellt. Er war nicht an bestimmte Dienstzeiten gebunden und konnte seinen 30 Arbeitstage umfassenden Urlaub selbst bestimmen. Neben einem vom jeweiligen Monatsabschluss abhängigen Gehalt bezog er gewinnabhängige Tantiemen. Er hatte für drei Monate Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Im Jahr 2002 und 2003 war sein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt nicht höher als 75 v.H. der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung.

Die Beklagte führte bei der Klägerin am 05. Dezember 2006 für den Zeitraum 02. Mai 2002 bis 31. Dezember 2003 eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) durch. Infolge dessen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2006 fest, dass für den Beigeladenen zu 1. als Arbeitnehmer im Prüfzeitraum keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Ein Befreiungsbescheid habe für ihn nicht vorgelegt werden können. Vom 02. Mai 2002 bis zum 13. Oktober 2003 seien daher Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 4.295,50 EUR nachzuentrichten. Als Geschäftsführer legte der Beigeladene zu 1. am 09. Januar 2007 Widerspruch unter gleichzeitigem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Beigeladene zu 1. habe seit seinem Beschäftigungsbeginn am 02. Mai 2002 die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschritten, daher habe die Krankenversicherungspflicht bestanden. Ein Befreiungsbescheid nach § 28h SGB IV sei nicht erteilt worden.

Am 11. Januar 2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Halle (SG) Klage erhoben und vorgetragen, der Betrieb sei nur aus persönlichen und steuerlichen Gründen in eine GmbH umgewandelt worden. Die Lebensgefährtin des Beigeladenen zu 1. sei als Glas- und Porzellanmalerin im Betrieb tätig und zugleich dessen Alleingesellschafterin. Der Beigeladene zu 1. leite als Geschäftsführer einzelvertretungsberechtigt unverändert den Betrieb auch nach Umwandlung in eine GmbH weiter. Er sei als Meister des Glas- und Holzhandwerks "der Kopf und die Seele" des Betriebes und übe über ihn den beherrschenden Einfluss aus. Er gestalte seine Tätigkeit frei nach eigenen Vorstellungen und bestimme über die Belegschaft von bis zu zehn gewerblichen Arbeitnehmern. Derzeit seien noch drei Arbeiternehmer und ein Auszubildender bei der Klägerin beschäftigt. Der Beigeladene zu 1. sei kaufmännisch als auch gewerblich durchs...

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