Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfe. Beiordnung eines Rechtsanwalts

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in sozialrechtlichen Streitverfahren über die Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts regelmäßig erforderlich.

 

Orientierungssatz

1. Der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes widerspricht es, wenn lediglich darauf abgestellt wird, das Ungleichgewicht zwischen rechts- und sachkundig vertretener Behörde bzw Versicherungsträger und der anderen Prozesspartei werde durch den prozessualen Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG ausgeglichen.

2. In Verfahren zur Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht auf der Seite des Rentenversicherungsträgers ein erhebliches Übergewicht an Sach- und Rechtskenntnissen, das auch durch die Hinweispflicht des Gerichtes nach § 106 Abs 1 SGG nicht ausgeglichen werden kann.

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (nachfolgend: Kläger) wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe vor dem Sozialgericht.

Der anwaltlich vertretene Kläger hat am 13. Dezember 2000 Klage gegen die LVA Sachsen-Anhalt erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Die Klage richtet sich gegen den am 10. November 2000 abgesandten Widerspruchsbescheid vom 9. November 2000, mit dem es die LVA abgelehnt hatte, eine bis 31. Juli 2000 gewährte Rente auf Zeit erneut zu bewilligen, da über den Wegfallzeitpunkt hinaus weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorliege. Das Sozialgericht hat von verschiedenen Ärzten Befundberichte angefordert.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2001 hat das Sozialgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht gemäß § 183 SGG für den Kläger grundsätzlich gerichtskostenfrei sei. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe könne daher nur dem Ziel dienen, die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten zu erreichen. Die erstrebte Beiordnung sei von objektiven und subjektiven Voraussetzungen abhängig, deren Bewertung nach einem objektiven Maßstab zu erfolgen habe. Das Ergebnis sei daran zu orientieren, ob eine Partei, die nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesen sei, einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Die Beklagte sei hier nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten. Allein die Tatsache, dass es sich bei der Beklagten um einen Versicherungsträger handele, der über umfangreiche Sachkompetenz verfüge, lasse nicht zwingend den Schluss zu, die Beiordnung eines Rechtsanwalts sei erforderlich, d. h. objektiv geboten. Denn wenn der Gesetzgeber in diesen Fällen eine Beiordnung regelmäßig für notwendig erachtet hätte, hätte er eine entsprechende Regelung in § 73 a SGG aufnehmen können, da diese Fallgestaltung offenkundig und bekannt gewesen sei. Aus der fehlenden Regelung folge, dass der Gesetzgeber den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit einen weiten Ermessensspielraum bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung eingeräumt habe. Gegen die Erforderlichkeit einer Beiordnung spreche im vorliegenden Fall die Ausgestaltung des sozialgerichtlichen Verfahrens, das vom Untersuchungsgrundsatz Vorbringen und ihre Beweisanträge aber nicht gebunden. Durch die Regelung des § 109 SGG hätten es die Beteiligten in der Hand, in medizinischen Fragen auf das Beweisergebnis Einfluss zunehmen. Diese Grundsätze führten aber nicht soweit, dass eine Beiordnung nur unter Hinweis auf das Amtsermittlungsprinzip verweigert werden dürfe. Hier müsse berücksichtigt werden, dass eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Streit sei. In solchen Fällen sei ausschließlich die Klärung tatsächlicher und medizinischen Fragen maßgeblich, was nicht nur für den beruflichen Werdegang des Klägers gelte, sondern auch hinsichtlich seiner Gesundheitsstörungen, die seine Leistungsfähigkeit beeinflussen. Darüber hinaus sei das Verfahren vor den Sozialgerichten in hohem Maße klägerfreundlich ausgestaltet. In diesem Zusammenhang dürfe nicht verkannt werden, dass sozialgerichtliche Verfahren häufig eine erhebliche wirtschaftliche und persönliche Bedeutung für die Betroffenen hätten. Um dem Rechnung zu tragen, habe der Gesetzgeber im SGG von Regelungen abgesehen, die unbeholfene und unerfahrene Kläger an Formalien scheitern lassen könnten. So seien beispielsweise die Formerfordernisse an die Klageerhebung gering und habe der Vorsitzende gemäß § 106 Abs. 1 SGG darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erläuterungen abgegeben werden. Die Beteiligten seien daher vor Ausschlussfristen mit Präklusionswirkung oder Versäumnisurteilen wie im Zivilprozess geschützt. Schließlich könne sich der Kläger der Hilfe der Urkundsbeamtin bedienen, indem er dort Erklärungen zu deren Niederschrift abgebe. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die wesentlichen Streitpunkte zu erfassen und sich allgemein verständlic...

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