Leitsatz (amtlich)

1. Die Möglichkeit oder sogar Notwendigkeit einen Arbeitseinsatz verhältnismäßig frei zu gestalten, gibt dem Bezirksleiter einer Landesbausparkasse noch keine unternehmerische Freiheit.

2. Die auf der Grundlage eines durch umfassende Kostenzuschüsse und großzügige Provisionsgarantie gesicherten Geschäftsbetriebs entwickelte Eigeninitiative vermag das seinem Gesamtcharakter nach abhängige Beschäftigungsverhältnis eines Bezirksleiters nicht in eine selbständige Tätigkeit zu verwandeln.

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 27.10.1978; Aktenzeichen S 2 K 18/77)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.01.1981; Aktenzeichen 12 RK 63/79)

 

Tenor

1. Die Berufungen der Klägerin und des Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 27. Oktober 1978 werden zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die seit dem 1. Januar 1974 als Abteilung der Landesbank Rheinland-Pfalz – Girozentrale – existierende Landesbausparkasse Rheinland-Pfalz, im folgenden Klägerin genannt, bedient sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben sogenannter Bezirksleiter. Diese haben den Abschluß von Bausparverträgen zu vermitteln und zu diesem Zweck innerhalb eines bestimmten Arbeitsbezirks planmäßige und intensive Werbung zu betreiben, wozu auch die Betreuung vorhandener Bausparer gehört. Die Spitzenverbände der Krankenkassen, der Verband deutscher Rentenversicherungsträger und die Bundesanstalt für Arbeit kamen bei ihrer Besprechung vom 2. bis zum 4. Oktober 1974 zu dem Ergebnis, die Bezirksleiter stünden in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und unterlägen der Versicherungspflicht, wenn ihnen nach den maßgebenden Vertragsbestimmungen kein Raum für eine wesentliche selbständige Eigeninitiative bleibe. Mit Rundbrief vom 14. Dezember 1976 empfahl deshalb der Verband der Ortskrankenkassen in Lahr seinen Mitgliedskassen, die nach diesem Besprechungsergebnis für die Bezirksleiter der Klägerin bestehende Versicherungspflicht festzustellen. Die wegen der zentralen Lohnabrechnung der Klägerin in Mainz als Einzugstelle zuständige AOK Mainz-Bingen, im folgenden Beklagte genannt, stellte daraufhin aufgrund ihrer Betriebsprüfung vom 27. Dezember 1976 durch Bescheid vom 29. Dezember 1976 die Versicherungspflicht von 48 Bezirksleitern der Klägerin in der Angestelltenversicherung sowie deren Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit fest und forderte Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von insgesamt 805.471,50 DM nach. Krankenversicherungspflicht nahm sie nicht an, weil das herangezogene „Entgelt” die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritt.

Die Klägerin widersprach der Einbeziehung ihres ab 1. April 1975 für sie arbeitenden Bezirksleiters E. K., im folgenden Beigeladener zu 1) genannt, in die Versicherungspflicht mit der Begründung:

Der Beigeladene zu 1) übe im sozialversicherungsrechtlichen ebenso wie im steuer-, gewerbe- und handelsrechtlichen Sinne eine selbständige Tätigkeit aus. Der Bezirksleitervertrag (BV) vom 16./24. April 1975, aufgrund dessen der Beigeladene zu 1) mit ihr verbunden sei, bestimme, daß der Bezirksleiter als selbständiger Handelsvertreter tätig und nicht etwa ein Angestelltenverhältnis begründet werde. Die tatsächlichen Gegebenheiten entsprächen der vertraglichen Regelung. Der Bezirksleiter sei an keine Weisungen gebunden. Er trage ein uneingeschränktes Unternehmerrisiko. Die Höhe seiner Einkünfte hänge allein von seiner Eigeninitiative und kaufmännischen Geschicklichkeit ab. Dagegen spreche, nicht die geringe Provisionsgarantie von zunächst 36.000,00 DM und jetzt 48.000,00 DM jährlich, da der Bezirksleiter bei nicht ausreichenden Leistungen jederzeit mit einer kurzfristigen Kündigung seines Vertrages rechnen müsse.

Der Widerspruch blieb erfolglos.

Gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26. Mai 1977 hat die Klägerin bei der damaligen Zweigstelle Mainz des Sozialgerichts (SG) Speyer rechtzeitig Klage erhoben und über ihr, früheres Vorbringen hinaus vorgetragen.

In jeder Einzelfrage mehr oder weniger bürokratisch nach subtilen Anweisungen handelnde Mitarbeiter im Bereich der Vermittlungs- und Propagandatätigkeit seien ihrem Selbstverständnis nicht angemessen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötige sie lebens- und wirtschaftserfahrene, eigenverantwortlich tätige Unternehmer. Die fehlende Abschlußbefugnis, das Wettbewerbsverbot, die Zuweisung eines bestimmten Arbeitsbezirks, das Weisungsrecht der als Verbindungsleute eingesetzten Gebietsdirektoren und die Verpflichtung zur Einstellung eigener Arbeitnehmer seien natürlicher Ausfluß ihrer Stellung in der Öffentlichkeit und entsprächen ihren wohlverstandenen Interessen; sie degradierten die Bezirksleiter gewiß nicht zu abhängigen, ihrer Entscheidungsbefugnis beraubten Bediensteten. Auch die durchaus branchenübliche Einrichtung und Übernahme der Aufwendungen eines Geschäftslokals zur Ausübung der Betreuungstätigkeit führe nicht zur Unselbst...

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