Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. keine rückwirkende Bewilligung für Zeiten vor Kenntnis von der Erkrankung

 

Orientierungssatz

Für die rückwirkende Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung iS des § 21 Abs 5 SGB 2 reicht es nicht aus, dass im Nachhinein eine Krankheit festgestellt wird, die in der Vergangenheit eine spezielle aufwändige Ernährung indiziert hätte, die tatsächlich infolge der Unkenntnis jedoch nicht erfolgt ist.

 

Normenkette

SGB II § 21 Abs. 5

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.02.2014; Aktenzeichen B 14 AS 65/12 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 16.12.2011 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis zum 31.03.2010.

Die ... 1955 geborene Klägerin bezieht antragsgemäß seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, wobei aufgrund des ärztlichen Attests ihres behandelnden Hausarztes, Dr. M..., vom 08.06.2004 ein monatlicher Mehrbedarf von 30,68 € für kostenaufwendige Ernährung wegen ärztlich bescheinigter Eisenmangelanämie bis zum 31.03.2009 berücksichtigt wurde.

Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom Februar 2009 forderte der Beklagte von der Klägerin den Nachweis eines fortbestehenden Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung und übersandte dazu das Formular “Anlage MEB zum Abschnitt 3D des Hauptantrags„ mit der Aufforderung, dieses vom behandelnden Hausarzt ausfüllen zu lassen. In der Folgezeit herrschte zwischen den Parteien Streit über die Erstattung von Kosten für die Ausfüllung des Formulars (obwohl der Hausarzt hierfür keine Kosten geltend machte) und die durch den Arztbesuch anfallende Praxisgebühr. Die Klägerin teilte dem Beklagten im Schreiben vom 07.04.2009 mit, sie brauche wegen chronischer Anämie, deren Ursache eine verschleppte Erkrankung im Jahr 1965/66 sei und die nicht mehr ausheilen könne, Vollwertkost, eiweißhaltige und vitaminreiche Ernährung. Ihr Hausarzt habe dies mehrfach mitgeteilt. Im Schreiben vom 09.05.2009 trug sie ergänzend vor, sie erhalte seit Jahren den Mehrbedarf, sodass mit einer Änderung, jedenfalls nicht mit einer Heilung zu rechnen sei. Sie sehe nicht ein, die für die Bestätigung anfallenden Kosten zu tragen; nach dem Verursacherprinzip solle der das Gutachten verlangende Beklagte dafür aufkommen. Am 18.05.2009 legte die Klägerin schließlich den Formularantrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung (Formular Anlage MEB zum Abschnitt 3D des Hauptantrags) vor, in welchem der Hausarzt Dr. M... unter dem Datum vom 13.05.2009 als sonstige Erkrankung bescheinigte: “Eisenmangelanämie, Schwäche, Infektanfälligkeit„ (Seite 2 des Vordrucks) und als erforderliche Krankenkost “eisenreiche Kost, Vollwertkost„ (Seite 3 des Vordrucks).

Durch Beschluss des Sozialgerichts Mainz (SG) vom 01.07.2009 - S 10 AS 532/09 ER - wurde u.a. der Antrag der Klägerin auf vorläufige Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung mit der Begründung abgelehnt, die vom Arzt angegebene einzunehmende Kost, “eisenreiche Kost/Vollwertkost„, rechtfertige keine Gewährung eines Mehrbedarfs, da die entsprechenden Lebensmittel mit den nach § 20 SGB II gewährten Regelleistungen zu erwerben seien. Die gegen den Beschluss des SG erhobene Beschwerde wurde vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) durch Beschluss vom 25.08.2009 - L 3 AS 393/09 B ER - als unzulässig verworfen.

Mit Bescheid vom 01.04.2009 bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2009 bis zum 30.09.2009, ohne dabei einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Ansatz zu bringen. Durch Bescheid vom 27.04.2009 wurde u.a. die Bewilligung eines solchen Mehrbedarfs ausdrücklich abgelehnt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 02.07.2009 als unbegründet zurück.

Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 17.09.2009 bewilligte der Beklagte durch Bescheid vom 22.09.2009 für den - hier streitigen - Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.03.2010 Grundsicherungsleistungen. In diesem Zusammenhang führte der Beklagte u.a. aus, nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei bei der Klägerin nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Bei der Zahlung des Mehrbedarfs orientiere man sich an den neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 01.10.2010. Aufgrund der bescheinigten Erkrankung der Klägerin, für die diese bisher einen ernährungsbedingten Mehrbedarf erhalten habe, könne daher künftig ke...

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