Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Festsetzung. GdB-Erhöhung. Zustand nach Entfernung eines malignen Schilddrüsenkarzinoms in Heilungsbewährung. nach der Behandlung verbleibender Organ- oder Gliedmaßenschaden. außergewöhnliche Folge- oder Begleiterscheinungen der Behandlung

 

Orientierungssatz

Zur Erhöhung des nach der Entfernung eines malignen Tumors während der Heilungsbewährung mit 50 bewerteten Grades der Behinderung (GdB), wenn der nach der Behandlung verbliebene Organschaden einen GdB von weniger als 50 (hier: GdB 30) bedingt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.09.2009; Aktenzeichen B 9 SB 4/08 R)

 

Tenor

1.

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 21.02.2007 wird zurückgewiesen.

2.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Der im Jahre 1954 geborene Kläger beantragte erstmals im Juni 2005 die Feststellung einer Behinderung und des GdB. Zur Begründung verwies er auf ein im April 2005 im S M-H (B) entferntes multifokales Schilddrüsenkarzinom links.

Der Beklagte zog daraufhin den Entlassungsbericht des S M-H vom 28.04.2005 bei.

Nach versorgungsärztlicher Beteiligung stellte das Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz mit Bescheid vom 12.08.2005 eine "Gewebeveränderung der Schilddrüse" als Behinderung mit einem GdB von 50 fest.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, seit der Operation des Schilddrüsenkarzinoms mit totaler Entfernung der Schilddrüse seien sowohl die Stimmbandnerven als auch der Kehlkopfnerv erheblich beeinträchtigt. Hierdurch komme es zu andauernden Atem- und Schluckbeschwerden sowie zu erheblichen Sprachschwierigkeiten. Dies ergebe sich auch aus den ärztlichen Unterlagen des S M-H.

Der Beklagte nahm daraufhin weitere ärztliche Unterlagen zu den Akten und holte einen Befundbericht des Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr S vom 21.11.2005 ein.

Die Versorgungsärztin Frau Dr B wertete diese Unterlagen aus und gelangte zu dem Ergebnis, die Heiserkeit bei Lähmung des rechten Stimmbandes sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage weiterhin 50.

Gestützt auf diese Stellungnahme wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch mit Bescheid vom 02.02.2006 zurück. Der Behinderungszustand wurde wie folgt neu bezeichnet:

1. Gewebeveränderung der Schilddrüse;

2. Heiserkeit bei Lähmung des rechten Stimmbandes.

Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz hat der Kläger ein ärztliches Attest von Dr M vom 31.03.2006 übersandt, der mitteilte, der Kläger habe ständig Atemnot und ständig Schmerzen beim Schlucken. Schon wenige Worte belasteten ihn so sehr, dass eine Luftnot auftrete.

Das SG hat sodann einen Befundbericht von Dr M vom 22.05.2006 eingeholt, weitere ärztliche Unterlagen zu den Akten genommen und ein Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes M N vom 22.07.2006 veranlasst. Der Sachverständige diagnostizierte:

1. Stimmlippen-Lähmung rechts mit dauernder Heiserkeit (Einzel-GdB 30);

2. Zustand nach Therapie eines Schilddrüsen-Karzinoms (Einzel-GdB 50).

Der Gesamt-GdB betrage 50.

Der Beklagte ist dieser Einschätzung mit einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Frau Dr W-S vom 07.09.2006 entgegengetreten. Die Sozialmedizinerin hat ausgeführt, die von dem Sachverständigen mitgeteilten Einzel-GdB-Werte seien zutreffend. Bei der Stimmbandlähmung handele es sich jedoch um einen Folgeschaden der operativen Entfernung des Schilddrüsenkarzinoms. Derartige verbliebene Organschäden seien nur dann zusätzlich zu bewerten, wenn der Organschaden alleine einen GdB von mehr als 50 bedinge. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.02.2007 hat das SG die angefochtenen Bescheide abgeändert und den Beklagten verurteilt, die Behinderung des Klägers mit einem GdB von 60 festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei dem Kläger seien zwei Teil-Behinderungen zu berücksichtigen. Die Gewebeneubildung der Schilddrüse bedinge einen Einzel-GdB von 50. Zusätzlich zu bewerten sei eine Heiserkeit bei Lähmung des rechten Stimmbandes. Hierfür sei unstreitig ein Einzel-GdB von 30 gerechtfertigt. Aus Einzel-GdB-Werten von 30 und 50 ergebe sich ein Gesamt-GdB von 60.

Am 23.03.2007 hat der Beklagte gegen den am 26.02.2007 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.

Der Senat hat ein Gutachten nach Aktenlage von Prof Dr T / Prof Dr Dr H (Universitätsklinikum F, Abteilung Viszeralchirurgie) vom 06.11.2007 eingeholt. Die Sachverständigen gelangten zu dem Ergebnis, der GdB für die Entfernung eines malignen Schilddrüsentumors (papillärer oder follikulärer Tumor ohne Lymphknotenbefall) sei in den ersten fünf Jahren der Heilungsbewährung mit 50 zu bewerten. Eine häufige eingriffstypi...

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