Entscheidungsstichwort (Thema)

Neuvergabe einer Versicherungsnummer wegen anderen Geburtsdatums. zulässige Klageart. Nachweis. Alturkunde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Neuvergabe einer Versicherungsnummer ist im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erreichbar.

2. Eine "erste Angabe" iS des § 33a Abs 1 SGB 1 liegt auch vor, wenn der Versicherte zunächst unter einer Scheinidentität auftrat, um seine Abschiebung zu verhindern, sodass bei späterer Offenbarung der zutreffenden Personaldaten eine Abweichung vom zunächst angegebenen Geburtsdatum im Bereich des Sozialrechts nur unter den Voraussetzungen des § 33a Abs 2 SGB 1 erfolgen darf.

3. Ein anderes Geburtsdatum ergibt sich auch dann aus einer Alturkunde iS des § 33a Abs 2 Nr 2 SGB 1, wenn die Urkunde zwar das Geburtsdatum nicht nennt, wohl aber belegt, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt gelebt hat (Schulabschluss) und aus diesem Umstand sowie weiterer allgemein zugänglicher Erkenntnisse (regelmäßiges Einschulungsalter und Dauer der Schulzeit) auf ein Geburtsdatum zurückgerechnet werden kann.

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 12.09.2011 - S 17 R 985/10 - aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 27.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2010 verpflichtet, der Klägerin eine neue Versicherungsnummer zu vergeben und dabei an den Stellen 3 bis 8 das Geburtsdatum . .1977 aufzunehmen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer neuen Versicherungsnummer (VNr), in der als Geburtsdatum der … ausgewiesen ist.

Die Klägerin reiste - vermutlich im Laufe des Jahres 2000 - unerlaubt in das Bundesgebiet ein. Sie wurde am 02.11.2000 in einem H Großbordell angetroffen, konnte sich nicht ausweisen und gab an, sie heiße " … ", sei am … geboren und sudanesische Staatsangehörige. Sie wurde daraufhin dem Kinder- und Jugendnotdienst der Stadt H übergeben, verschwand aber aus der Aufnahmestelle. Ermittlungen ergaben, dass sie sich schon seit dem 30.06.2000 in dem Großbordell aufgehalten hatte.

Am 12.07.2000 wurde die Klägerin in einem Bordell in E festgenommen. Sie gab dabei die Personaldaten wie zuvor an und berief sich auf ein Verfolgungsschicksal. Daraufhin brachte man sie zur Aufnahmestelle für Asylbewerber nach D, von wo aus sie zur Stellung eines Asylantrags nach T umverteilt wurde. Dort meldete sie sich nicht, sondern tauchte erneut unter. Am 25.02.2003 wurde sie in einem Bordell in F festgenommen, wo sie sich zunächst mit niederländischem Pass einer anderen Person auswies, dann aber die bereits zuvor verwandten Personaldaten angab. Der erneuten Aufforderung, in der Aufnahmeeinrichtung T einen Asylantrag zu stellen, kam sie nicht nach und tauchte unter. Am 08.05.2003 wurde sie in einem Bordell in E festgenommen und durch Beschluss des Amtsgerichts E vom folgenden Tag in Abschiebehaft genommen. Dort stellte sie am 23.05.2003 einen Asylantrag, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) durch Bescheid vom 17.06.2003 als offensichtlich unbegründet abgelehnte. Nachdem das Verwaltungsgericht T am 17.05.2003 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt hatte, war die Klägerin vollziehbar ausreisepflichtig. Eine Abschiebung scheiterte in der Folgezeit wegen fehlender Ausreisepapiere, und sie wurde aufgrund Beschlusses des OLG H vom 08.07.2003 aus der Haft entlassen.

Im Rahmen der Bemühungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten führte man die Klägerin am 12.01.2005 bei der Botschaft der Republik Sudan in B vor. Dort schloss man eine sudanesische Staatsangehörigkeit der Klägerin ausdrücklich aus und vermutete, sie sei Nigerianerin. Die Klägerin behauptete dennoch weiterhin, aus dem Sudan zu stammen.

Antragsgemäß erhielt die Klägerin eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis ab dem 15.09.2005. Auf der Grundlage der von ihr bis dahin verwendeten Personaldaten erhielt die Klägerin am 05.10.2005 von der Beklagten die Rentenversicherungsnummer 56 84 L 5 .

Am 24.05.2006 wurde die Tochter der Klägerin und des deutschen Staatsangehörigen C M geboren. Herr M erkannte die Vaterschaft im März 2008 an und wies sie später durch einen Gentest nach. Das Kind ist inzwischen als deutsche Staatsangehörige anerkannt. Die Klägerin besitzt seit dem 28.07.2010 eine Aufenthaltserlaubnis.

Im Juli 2006 teilte die Klägerin der zuständigen Ausländerbehörde mit, ihre Personaldaten seien unzutreffend. Sie heiße in Wirklichkeit P I, sei am geboren und nigerianische Staatsangehörige. Eine entsprechende Geburtsurkunde stellte die nationale Einwohnermeldekommission B N am 21.02.2006 auf Grund der beeideten Alterserklärung der Mutter der Klägerin vom 17.02.2006 aus. In ihrem nigerianischen Pass vom 29.08.2006 ist als Geburtsdatum dementsprechend der angegeben.

Durch Urteil des...

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