Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleich H. Säugling. Kleinkind

 

Leitsatz (amtlich)

1. Altersentsprechende "Nachteile" sind grundsätzlich nicht behinderungsbedingt und scheiden damit regelmäßig für die Feststellung von Behinderungen und Nachteilsausgleichen nach dem SchwbG aus.

2. Aber auch ein Säugling oder Kleinkind kann wegen einer Behinderung gesteigert pflegebedürftig sein. Kleinkinder können deshalb bereits ab ihrer Geburt hilflos iS von § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) sein und damit Anspruch auf die Feststellung des Nachteilsausgleichs H haben, selbst wenn bei ihnen ein erhebliches Maß an Pflegebedürftigkeit bereits altersbedingt gegeben ist.

3. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilausgleichs "H" bei Kleinkindern ist möglich, wenn diese im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern in erheblichem Maße besonders hilfsbedürftig sind.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "H" nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Der im September 1990 geborene Kläger beantragte im Mai 1993 vertreten durch seine Eltern die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "H" seit dem Zeitpunkt der Geburt wegen eines bei ihm bestehenden Morbus Hirschsprung in Assoziation mit einer neuronalen intestinalen Dysplasie, weshalb die bei allen Kindern derselben Altersstufe regelmäßig bestehende Hilflosigkeit dauernd wesentlich überstiegen werde. Zur Begründung legte er ein Attest des Prof. Dr. K, Chefarzt der Kinderchirurgischen Klinik der Städtischen Kliniken F -Höchst vor. Dieser bescheinigte, wegen des Morbus Hirschsprung und eines Anus praeter, Nabelhernie und Urachusrest sei der Kläger in stationärer Behandlung. Wegen der Schwere der Erkrankung und der besonderen Hilflosigkeit sei eine häusliche Pflegebedürftigkeit in den Jahren 1990 und 1991 durch die Mutter dringend erforderlich gewesen. Der Kläger legte darüber hinaus weitere Befundunterlagen über die fortgeführte Behandlung vor.

Mit Bescheid vom 02.09.1993 stellte das Versorgungsamt M fest, vom Kalenderjahr 1990 bis Mai 1992 habe die Behinderung "Anus praeter-Anlage bei Morbus Hirschsprung" mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorgelegen. Derzeit bestehe als Behinderung "Darmerkrankung" mit einem GdB von 20. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "H" könnten nicht festgestellt werden.

Im Widerspruchsverfahren holte das Versorgungsamt einen Befundbericht vom 29.03.1994 der Kinderärzte Dres. Kl & Kollegen ein. Diese teilten mit, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach operiertem Morbus Hirschsprung mit Megacolon cong. und neuronaler, intestinaler Dysplasie, außerdem ein Zustand nach Anus praeter. Die Hüftdysplasie spiele keine Rolle mehr, dafür leide der Kläger jetzt unter einem allergischen Asthma bronchiale. Außerdem liege ein Folgezustand eines Horner-Syndroms vor.

Das Versorgungsamt ließ den Kläger daraufhin durch Dr. N begutachten. Dieser kam in seinem versorgungsärztlichen Gutachten vom 10.6.1994 zu dem Ergebnis, beim Kläger handele es sich um ein 3 3/4 Jahr altes männliches Kleinkind, das körperlich sehr gut entwickelt sei. Zur Zeit seien keine neurodermitisch-spezifischen Hauterscheinungen sichtbar. Insgesamt zeige der Kläger eine alter gemäße Entwicklung. Zum Untersuchungszeitpunkt seien Herz und Lunge unauffällig. Der Kläger leide nach den Angaben seiner Mutter öfter unter kolikartigen Bauchschmerzen, wobei das Abdomen fast ständig meteoristisch aufgebläht sei. Die Darmentleerung erfolge höchstens zwei- bis dreimal pro Woche, dann würden Unmengen Stuhl verzögert abgesetzt. Wegen des Asthmaleidens werde der Kläger dreimal mit einer Tablette Cromoglicinsäure behandelt, bei Bedarf würden bronchialerweiternde Medikamente zugesetzt. Rezidivierend sei eine Cortisonbehandlung erforderlich. Es bestehe eine hohe Infektanfälligkeit. Unter Belastung nehme die Atemnot zu. Im Anfall sei es vereinzelt zu Tachypnoe mit Atemfrequenzen bis 60/min und Pulsfrequenzen bis 220/min gekommen. Vereinzelt sei im Rahmen von Infektexazerbationen eine Lippenbläue beobachtet worden. Als Behinderung beständen weiterhin eine Darmerkrankung (GdB 30) und ein Asthma bronchiale (GdB 40). Der Gesamt- GdB betrage 50. Die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "H" lägen nicht vor.

Mit Teilabhilfebescheid vom 20.06.1994 stellte das Versorgungsamt M daraufhin als Behinderung mit einem GdB von 50 fest:

1.      Darmerkrankung,

2.      Asthma bronchiale.

Den weitergehenden Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.1994 zurück.

Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mainz hat die Mutter des Klägers auf Aufforderung des Sozialgerichts eine umfassende Darstellung der Komplikationen und der erfolgten Behandlungsmaßnahmen des Klägers abgegeben sowie weitere Befundunterlagen vorgelegt.

Der Beklagte hat sich daraufhin mit angenommenem Teilanerkenntnis bereit erklärt, die gesundheitlichen Voraussetzu...

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