Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Erlangung des Beamtenstatus. günstigere Höchstaltersgrenze für die Verbeamtung gleichgestellter schwerbehinderter Menschen. typisierende Kompensation behinderungsbedingter Nachteile

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitsplatz iSd §§ 2 Abs 3, 73 SGB 9 ist diejenige Stelle, in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vollzogen wird (sog rechtlich-funktionale Betrachtungsweise). Damit wird der Arbeitsplatz durch die Eigenheiten der Rechtsstellung des ihm zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis geprägt (Anschluss an LSG Darmstadt vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 = Behindertenrecht 2014, 106).

2. Eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB 9 zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes ist daher auch bei einem beabsichtigten Statuswechsel vom Angestellten- ins Beamtenverhältnis ohne Änderung der Tätigkeit möglich.

3. Hat der behinderte Mensch bei seinem Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis bereits die landesrechtlich vorgesehene Regelaltersgrenze überschritten, kann eine Gleichstellung zum Zwecke der Verbeamtung trotzdem nicht abgelehnt werden, wenn er die bei einer Gleichstellung mit Schwerbehinderten vorgesehene, angehobene Altersgrenze wieder unterschreitet.

 

Orientierungssatz

Die Ausnahmeregelung des § 18 Abs 2 S 1 Nr 2 LBV NW 2014 ist dann anzuwenden, wenn ein Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe rechtswidrig abgelehnt wurde, der Bewerber hiergegen Rechtsmittel eingelegt hat und zwischenzeitlich die neue Höchstaltersgrenze (hier für gleichgestellte schwerbehinderte Menschen) überschritten ist (vgl OVG Münster vom 28.11.2013 - 6 A 368/12).

 

Normenkette

SGB IX § 2 Abs. 3 Alt. 1, § 73; LBV NW 2014 § 8 Abs. 3, § 18 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.11.2012 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2011 verpflichtet, den Kläger ab dem 13.10.2010 mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Der Kläger ist am 00.00.1969 geboren. Mit Bescheid des Versorgungsamts L vom 25.07.2006 wurde bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 mit folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgestellt: Verschleißerscheinungen im Bereich der Wirbelsäule, Zustand nach Bandscheiben-OP L4/5 rechts, Bandscheibenvorfall L5/S1 links, rückläufige Fußheberparese rechts, Nervenwurzelreizerscheinungen.

Der Kläger wurde zum 01.08.2007, nachdem er zunächst nur einen befristeten Vertrag als angestellter Lehrer erhalten hatte, in den Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) eingestellt. Bereits vor der Einstellung am 20.02.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 26.06.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Da der Kläger zum 01.08.2007 eingestellt würde, würde seine Begründung, dass er die Gleichstellung zur Festeinstellung benötige, nicht mehr tragen.

Am 13.10.2010 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gleichstellung. Er gab hierzu an, er könne seine derzeitige Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen ausüben. Sein Arbeitsverhältnis sei aber wegen seiner Behinderung gefährdet. In der Schule gäbe es zwei nicht verbundene Gebäude, die jeweils über drei Etagen verfügen. Es sei ihm aufgrund seiner Behinderung nicht möglich, schnelle und weite Strecken zu gehen, weswegen er häufig unpünktlich zum Unterricht erscheine. Hierdurch häuften sich Missverständnisse. Durch die Eile ergäben sich häufig Unkonzentriertheit und Ermüdungserscheinungen. Ihm seien Pausenaufsichten in der Kälte, lange Wanderungen, Tragen von schweren Gegenständen über lange Strecken nicht möglich. Von der Gleichstellung erhoffe er sich Verständnis und eine Anpassung seines Arbeitsplatzes. Dadurch, dass er von diesen Aufgaben nicht befreit werde, erwarte er auch eine Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation. Die Gleichstellung sei aber insbesondere aus sonstigen Gründen notwendig. Durch die Gleichstellung könnte er noch ins Beamtenverhältnis übernommen werden.

Vor ihrer Entscheidung über den Antrag des Klägers hörte die Beklagte den Arbeitgeber, die Schwerbehindertenvertretung und den Personalrat an. Der Arbeitgeber gab an, die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers zu kennen und dass diese den Arbeitseinsatz einschränkten. Der Arbeitsplatz sei behindertengerecht gestaltet und sei weder aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen noch aus sonst...

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