Entscheidungsstichwort (Thema)

Quasiberufserkrankung. neue Erkenntnisse. medizinische Wissenschaft. gruppenspezifische Risikoerhöhung

 

Orientierungssatz

Zur Nichtanerkennung einer Zyklothymie als Quasi-Berufskrankheit gem RVO § 551 Abs 2 mangels Vorliegens wissenschaftlicher Erkenntnisse zur gruppentypischen Gefährdung.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine psychische Krankheit des Klägers wie eine Berufskrankheit (BK) als Versicherungsfall anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger war nach Absolvierung eines Lehramtsstudiums von 1965 bis 1969 als Privatschullehrer tätig. Im Jahre 1970 ließ er sich bei der Firma IBM in S. zum Systemingenieur ausbilden. Von 1971 bis 1973 arbeitete der Kläger als Projektleiter bei einer Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft in T.. Anschließend war er bis 1974 Amtsleiter für Statistik und Wahlen bei der Stadt T.. Von 1975 bis 1981 arbeitete der Kläger bei der S.-Versicherungs AG in D. als Leiter der Betriebsorganisation und Unternehmensplanung. Seit 1982 ist er Alleingesellschafter des Internates Schloß H., wobei er zunächst auch Unterrichtsaufgaben übernahm und bis 1993 als Geschäftsführer fungierte. Im Juni 1991 gründete der Kläger darüber hinaus ein Erwachsenenbildungsinstitut in B. L./T.. Er bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.

Am 08.08.1994 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Entschädigung seiner psychischen Erkrankung, weil diese Krankheit durch seine berufliche Tätigkeit entstanden sei. Er gab an, seit 1985/86 an Versagensängsten, Antriebsarmut und Depressionen im Wechsel mit manischen Zuständen zu leiden. Der behandelnde Internist Dr. L. attestierte dem Kläger unter dem 14.12.1994, daß eine chronifizierte Zyklothymie bestehe, wobei als auslösendes Moment für die Erkrankung die aufreibende, mit körperlichem und seelischem Streß einhergehende Tätigkeit in seinem Beruf als Gesellschafter und Geschäftsführer des Institutes Schloß H. anzusehen sei. Der Internist und Psychotherapeut Dr. K. gab in einem Befundbericht vom 12.01.1995 an, daß sich die Krankheitssymptomatik des Klägers nach Arbeitsstreß verschlechtert habe. Der Ärztliche Direktor der Evangelischen Nervenklinik Stiftung T. in R., Prof. Dr. R., teilte in einem Bericht vom 30.01.1995 mit, daß bei dem Kläger eine Zyklothymie bei schwerer narzißtischer Persönlichkeitsstörung vorliege. Die Erkrankung sei gekennzeichnet durch einen phasischen Verlauf, wobei sowohl mit depressiven als auch mit manischen Phasen gerechnet werden müsse. Das Leiden sei nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden. Man müsse jedoch damit rechnen, daß der Kläger auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage sein werde, eine andauernde stabile Stimmungslage zu erreichen. Insbesondere bei Fortbestehen der Arbeitstätigkeit würden weiterhin manische und depressive Dekompensationen mit der Tendenz zur Verschlechterung des psychischen Gesamtzustandes auftreten. Anlaß für die Erstattung einer BK-Anzeige bestehe nicht. Stationäre Behandlungen fanden in der Stiftung T. vom 16.12.1993 bis 23.02.1994 und vom 07.03. bis 15.04.1994 statt (Behandlungsbericht von Prof. Dr. R. vom 11.05.1994). Der Chefarzt der W. Klinik S. in W., Dr. H., erstattete unter dem 24.05.1995 eine BK-Anzeige. Bei dem Kläger liege eine Zyklothymie bei schwerer narzißtischer Persönlichkeit und sekundärem Alkohol- und Medikamentenabusus vor. Der Kläger sei am Arbeitsplatz überfordert gewesen und habe zunehmende Schwierigkeiten durch Mitarbeiter wegen Führungslosigkeit bekommen, was die Depressivität verstärkt habe. Prof. Dr. E., Landesanstalt für Arbeitsschutz N.-W., hielt in einer Stellungnahme vom 19.12.1995 weitere Sachverhaltsaufklärung nicht für erforderlich. Mit Bescheid vom 14.02.1996 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Entschädigung wegen der psychischen Erkrankung des Klägers ab. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit. Daher sei es unerheblich, ob die übrigen Voraussetzungen einer Entschädigung nach § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorlägen. Zur Begründung des hiergegen am 08.03.1996 eingelegten Widerspruchs bezog sich der Kläger auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. R. vom 17.06.1996. Prof. Dr. R. führte aus, daß Zyklothymien multifaktoriell bedingt seien. Erbliche Faktoren, sonstige biologische Faktoren, die Konstitution und die Primärpersönlichkeit führten zu einer gewissen Prädisposition, auf deren Grundlage schließlich nicht selten durch psychische Faktoren die Erkrankung bzw. einzelne Krankheitsphasen ausgelöst würden. Bei den psychischen Faktoren spiele neben der familiär-häuslichen Situation insbesondere bei Männern häufig die berufliche Situation eine entscheidende Rolle. Nach der Kenntnis der Biographie und der Anamnese des Klägers sei davon auszugehen, daß auf dem Boden einer Prädisposition die psychische Erkrankung durch anhaltende Konflikte im Rahmen seiner zuletzt ausg...

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