Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz. Rettungshandlung. Straßenverkehr. reflexartiges Ausweichmanöver. gleiches Gefährdungsausmaß der Verkehrsteilnehmer

 

Orientierungssatz

Zum Nichtvorliegen einer Rettungshandlung iS von § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO bei dem Ausweichmanöver eines Motorradfahrers gegenüber einem Radfahrer, wenn das Ausmaß der Gefährdung beider Straßenverkehrsteilnehmer gleich groß war, aber keine zusätzlichen Anhaltspunkte vorlagen, die die Ausweichreaktion nicht lediglich als instinktives Abwehrverhalten oder als automatische Fluchtreaktion qualifizierten.

 

Tatbestand

Streitig sind Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der 1961 geborene Kläger zog sich am 04.06.1995 bei einem Motorradunfall in Norwegen eine Querschnittslähmung zu. Im Juli 1995 meldete er Entschädigungsansprüche mit der Begründung an, er sei bei einer Hilfeleistung gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO verunglückt. Er habe am Unfalltage gegen 14.00 Uhr mit einem Motorrad die Landstraße 13 Richtung T befahren. Vor ihm seien zwei PKW und ein Fahrradfahrer gewesen. Er habe die vor ihm befindlichen Fahrzeuge überholen wollen, sich vergewissert, daß sich von hinten keine Fahrzeuge näherten, den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, sei nach links ausgeschwenkt und habe beschleunigt. Als er auf der Höhe der PKW gewesen sei, habe der Radfahrer sein Fahrzeug plötzlich nach links auf die Gegenfahrbahn gezogen und sei ihm in den Weg gekommen. Sein Ausweichmanöver habe nicht den gewünschten Erfolg gehabt, so daß es auf der Gegenfahrbahnhälfte zu einem Zusammenprall gekommen sei.

Der Beklagte holte schriftliche Erklärungen von Augenzeugen des Unfalls ein. Herr T H teile ihr mit, er habe sich mit seinem Freund D M im zweiten Auto einer Kolonne befunden. Als eine lange Gerade, die bergab geführt habe, gekommen sei, habe sich für das vor ihm fahrende Auto die Möglichkeit ergeben, den an der Spitze der Kolonne befindlichen Radfahrer zu überholen. Dieser habe die linke Hand kurzzeitig herausgehalten, so daß sich das erste Auto wieder hinter den Radfahrer eingeordnet habe. Dies sei kurz nach einer Kurve geschehen, so daß er der Meinung sei, der Kläger könne dies nicht gesehen haben. Der Radfahrer habe dann eine geraume Strecke lang kein Handzeichen mehr gegeben und sei vor dem ersten Auto ungefähr einen Meter rechts von der Mittelmarkierung der Straße gefahren. Die Geschwindigkeit habe etwa 50 km/h betragen. Plötzlich sei der Kläger auf seinem Motorrad an ihnen vorbeigefahren. Der Radfahrer sei nun an eine Abzweigung gekommen und blitzartig vom Mittelstreifen in diese gefahren. In diesem Moment habe der Kläger noch versucht auszuweichen; dafür habe es aber keine Möglichkeit mehr gegeben (Erklärung vom August 1995). Sein Beifahrer D M gab in Erklärungen vom 01.10.1995, 08.11.1995 und vom 14.01.1996 an: Der Radfahrer an der Spitze der Kolonne habe ungefähr 200 m vor einer Einmündung ein Handzeichen zum Linksabbiegen gegeben. Danach habe er sich zur Straßenmitte abgesetzt. In diesem Augenblick habe der Motorradfahrer, der sich drei bis vier Fahrzeuge hinter ihm befunden habe, zum Überholen angesetzt. Auf der Mitte der Gegenfahrbahn sei es dann zu einer Kollision gekommen. Es sei ihm nicht möglich zu beurteilen, ob der Kläger dem Fahrradfahrer habe ausweichen wollen oder reflexartig gehandelt habe. Für letzteres spreche, daß der Radfahrer das Zeichen zum Linksabbiegen schon sehr weit vor der Einmündung gegeben habe und der Motorradfahrer dies nicht habe sehen können.

Einem Vermerk über einen Dienstreisebericht vom 27.07.1995 zufolge gab der Kläger damals an, er habe sich hinter zwei PKW befunden, zum Überholvorgang angesetzt und, als er beide Fahrzeuge fast überholt gehabt habe, bemerkte, daß der vorne fahrende Radfahrer im Begriff gewesen sei, nach links abzubiegen. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, habe er versucht, nach links auszuweichen.

Der Beklagte zog die Ermittlungsakten der norwegischen Polizei bei. Darin ist als Aussage des Radfahrers vom 18.08.1995 festgehalten: Er habe von der Straße eine Ausfahrt links nehmen wollen, die zu einem Badestrand führe. Bei Annäherung an diese Ausfahrt habe er zurückgeschaut und zwei PKW hinter sich bemerkt. Er sei der Auffassung gewesen, so schnell zu fahren, daß die zwei Fahrzeuge ihn nicht überholen würden, bevor er abbiege. Ein Motorrad habe er nicht bemerkt. Er sei von der Mitte der Straße abgebogen, wobei er gleichzeitig mit seinem linken Arm ein Zeichen gegeben habe. Als er die Ausfahrt von sich gesehen habe, habe er sich auf den Bremsvorgang und eventuellen Gegenverkehr konzentrieren müssen. Als er gerade habe abbiegen wollen, habe ihn der erste PKW eingeholt und auf der rechten Seite überholt. In diesem Moment habe er bemerkt, daß jemand auf seiner linken Seite näher gekommen sei. Er sei dann angefahren worden.

Die Fahrerin des vorderen PKW L hat am 11.12.1995 zu Protokoll gegeben: Ein vor ihr befindlicher Radfahrer sei so schnell gewesen, daß sie es nicht gewagt hab...

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