Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Vertrag nach § 127 SGB 5 zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker KdöR sowie den Ersatzkassen. Vergütungsanspruch auch bei nicht rechtzeitigem Zugang der Versorgungsanzeige

 

Orientierungssatz

Dem Anspruch auf Vergütung einer erbrachten Hörgeräteversorgung steht nicht entgegen, dass die Versorgungsanzeige nach § 7 Abs 2 S 3 der Anlage 1 des auf Grundlage von § 127 SGB 5 zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker KdöR sowie den Ersatzkassen geschlossenen Versorgungsvertrages vom 1.11.2013 der Krankenkasse nicht vor Beginn des Anpassungsprozesses zugegangen ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.08.2021; Aktenzeichen B 3 KR 8/20 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.05.2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 1.594,00 Euro für die Berufung festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine von der Klägerin erbrachte Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.594,00 EUR.

Der bei der beklagten Krankenkasse (Beklagte) gesetzlich krankenversicherten X K (geb. 1924 - Versicherte) wurden durch deren behandelnde HNO-Ärzte Dres. T und O am 24.02.2014 Hörhilfen bds. verordnet. Nach Anpassung der Hörgeräte wurden diese am 11.03.2014 von der Klägerin an die Versicherte herausgegeben.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten daraufhin (einschließlich der der von der Versicherten zu tragenden Zuzahlung) einen Betrag in Höhe von 1.614,00 EUR (Rechnung Nr. 000 vom 28.03.2014). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, teilte jedoch mit Schreiben vom 26.08.2014 mit, die Rechnung könne mangels Genehmigung durch sie nicht anerkannt werden. Ein Anspruch auf nachträgliche Kostenübernahme bestehe nicht. Der Betrag werde mit der nächsten (unstreitigen) klägerseitigen Forderung verrechnet.

Dem widersprach die Klägerin und wies darauf hin, dass die Versorgungsanzeige am 25.02.2014 per Post an die Beklagte übersandt worden sei.

Die Beklagte wies mit Schreiben vom 15.09.2014 darauf hin, dass § 7 Abs. 2 Satz 3 der Anlage 1 zum "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen" vom 01.11.2013 (BIHA-Vertrag) vorsehe, dass vor Beginn des Anpassungsprozesses eine Versorgunganzeige erstellt und übersandt wird. Eine Heilung dieses Vertragsverstoßes sei grundsätzlich nicht vorgesehen. Unter dem 24.10.2014 verrechnete sie - wie angekündigt - einen Betrag in Höhe 1.594,00 EUR mit der Forderung aus der Rechnung Nr. 000 vom 30.09.2014.

Die Klägerin hat am 01.12.2014 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Die Versorgungsanzeige sei der Beklagten rechtzeitig zugegangen. Es sei anzunehmen, dass es bei dieser versäumt worden sei, die Versorgungsanzeige ordnungsgemäß zu erfassen. Insoweit gelte der Beweis des ersten Anscheins. Nach allgemeiner Lebenserfahrung gingen postalische Schreiben regelmäßig und typischerweise beim Empfänger ein. Sie übersende jährlich etwa 120 Versorgungsanzeigen und davon ca. 11 an die Beklagte. Noch nie sei eine verlustig gegangen.

Unabhängig davon sei die Versorgung der Versicherten entsprechend der Verordnung erfolgt und der Vergütungsanspruch entstanden. Auch die Abrechnungsvoraussetzungen der Anlage 1 § 7 Abs. 3 Satz 4, 5 des BIHA-Vertrages seien erfüllt. Dort sei die Versorgungsanzeige nicht genannt. Es gehe hier - anders als in dem Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 10.04.2008 (B 3 KR 8/07 R) zu Grunde liegenden Sachverhalt - nicht um einen Kostenvoranschlag. Die Versorgunganzeige habe hier nach der vertraglichen Konzeption reine Ordnungsfunktion. Davon gehe auch das Sozialgericht Leipzig (S 8 KR 404/14, Berufung anhängig unter L 1 KR 324/15) aus.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.594,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.10.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin die vertraglich geforderte Versorgungsanzeige nicht im Wege des elektronischen Kostenvoranschlagsystems übersandt habe, sondern am 25.02.2014 per Post. Ein Beweis des ersten Anscheins greife hinsichtlich des rechtzeitigen Zugangs nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht. Die Versorgungsanzeige sei erforderlich, um - über eine bloße Information hinausgehend - eine vollumfängliche Leistungsprüfung einleiten zu können. Die Ersatzkassen hätten auf eine solche Regelung in Ansehung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R) bestanden. Es sei zum einen darum gegangen, die vom BSG festgestellte Intransparenz des Marktes der Hörgeräteversorgung zu beseitigen und zum anderen darum, Versicherte frühzeitig und umfangreich über ihre Ansprüche (auf eigenanteilsfreie Versorgung) zu unterrichten. Daher müsse die Krankenkasse vor Beginn des Anpassungsprozesses unterrichtet sein.

Bezüglich dieses Vertragsver...

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