Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherungsrecht: Leistungsansprüche aus einer privaten Pflegepflichtversicherung. Zulässigkeit der Aufrechnung von Beitragsrückständen mit laufenden Versicherungsleistungen durch das Versicherungsunternehmen

 

Orientierungssatz

1. Eine private Pflegepflichtversicherung darf einen Anspruch des Versicherten auf Versicherungsleistungen nur dann mit Beitragsrückständen des Versicherten zu dieser Pflegeversicherung aufrechnen, wenn die Beitragsrückstände gerade aus dem Zeitraum resultieren, in dem auch die Versicherungsleistungen erbracht werden.

2. Auf eine private Pflegepflichtversicherung findet das sozialrechtliche Aufrechnungsverbot keine Anwendung. Vielmehr kommen die Vorschriften zur privaten Krankenversicherung im Versicherungsvertragsgesetz zur Anwendung.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29.07.2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte private Pflegepflichtversicherung mit Beitragsforderungen gegen Leistungsansprüche des Klägers aufrechnen durfte.

Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist Versicherungsnehmer einer bei der Beklagten für ihn bestehenden privaten Pflegepflichtversicherung sowie einer privaten Krankheitskostenversicherung. Versichert ist ferner die Ehefrau des Klägers (E U., geboren 00.00.1947). Der Kläger und seine Ehefrau sind hilfebedürftig im Sinne des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), denn sie erhalten - jedenfalls seit 22.12.2014 - Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. In der privaten Krankheitskostenversicherung bestand zum 20.10.2015 ein Beitragsrückstand i.H.v. 29.324,50 Euro, in der privaten Pflegepflichtversicherung i. H. v. 6.365,40 Euro. In der Krankheitskostenversicherung erbringt die Beklagte sämtliche Versicherungsleistungen in vollem Umfang; wegen der Hilfebedürftigkeit des Klägers im Sinne des SGB XII erfolgt keine Verrechnung.

Durch "Leistungsbescheid" vom 01.04.2015 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Leistungszusage ab 01.02.2015 über ambulante Pflegeleistungen. Unter dem 09.10.2015 teilte sie dem Kläger mit, dass aus der privaten Pflegepflichtversicherung für den Zeitraum vom 01.08. bis 30.09.2015 ein Zahlungsanspruch i.H.v. 831,20 Euro bestehe; diesen Anspruch verrechne sie mit dem bestehenden Beistandsrückstand. Nachdem der Kläger - erfolglos - der Verrechnung mit der Begründung widersprochen hatte, dass er nicht in der Lage sei, die Pflegekosten selbst zu tragen, da er und seine Ehefrau nur über ein Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze verfügten, hat der Kläger am 21.12.2015 Klage vor dem Sozialgericht Detmold erhoben. Wegen weiterer im Zusammenhang mit Leistungsabrechnungen aus der Pflegeversicherung vorgenommener Aufrechnungen mit Beitragsansprüchen hat der Kläger die Klage auf Zahlung von insgesamt 2.521,28 Euro erweitert.

Zur Begründung hat er vorgetragen: Der Beklagte sei verpflichtet, die ihm nach dem Versicherungsvertrag zustehenden Versicherungsleistungen aus der privaten Pflegepflichtversicherung auszuzahlen. Die Aufrechnung mit Beitragsansprüchen sei unzulässig. Das ergebe sich aus § 394 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 54 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht aus § 394 Satz 2 BGB herleiten. Gemäß § 110 SGB XI sei sicherzustellen, dass die Belange der Person, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegepflichtversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sei, ausreichend gewahrt würden. Deshalb sei die für die Krankheitskostenversicherung geltende Regelung des § 193 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) entsprechend anzuwenden. Das ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung unter Beachtung der Prinzipien aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) sowie des Sozialstaatsprinzips. Letztlich verstoße die Aufrechnung auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.521,28 Euro zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte daran gehindert ist, zukünftig entstehende Leistungsansprüche des Klägers auf Erstattung durch Pflegeleistung durch den Beklagten mit rückständigen Beitragsansprüchen des Klägers zu verrechnen, soweit der Kläger hilfebedürftig gemäß SGB XII ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat entgegnet: Die Zulässigkeit der Aufrechnung ergebe sich aus § 394 Satz 2 BGB. Diese Regelung trage dem Gedanken Rechnung, dass der Berechtigte nicht mit der ungeschmälerten Auszahlung der Bezüge rechnen könne, wenn er seinerseits Verpflichtungen zur Entrichtung der laufenden Beiträge nicht nachkomme. § 193 Abs. 6 VVG gelte gerade ausschließlich für die Krankheitskostenversicherung und nicht für die Pflegepflichtversicherung. Der Gesetzgeber habe eine...

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