Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wirtschaftlichkeitsgebot. Therapiefreiheit. Bildung engerer Vergleichsgruppen bei besonderer Qualifikation eines Allgemeinarztes. Praxisbesonderheit. Mitwirkungspflicht des Vertragsarztes

 

Orientierungssatz

1. Unbeschadet einer besonderen Praxiseinrichtung hat jeder Vertragsarzt das Maß des Notwendigen einzuhalten, das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzustellen. Der Grundsatz der Therapiefreiheit wird insoweit durch den gleichrangigen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit begrenzt.

2. Auch wenn ein Arzt die Fachgebietsbezeichnung "Arzt für Anästhesiologie" führt, zwingt es die Prüfgremien nicht, ihn einer besonderen Vergleichsgruppe zuzuordnen, denn maßgeblich ist grundsätzlich allein, für welches Fachgebiet der Vertragsarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist.

3. Auch eine schmerztherapeutische Qualifikation des Vertragsarztes verlangt nicht, ihn nur mit solchen allgemeinmedizinisch tätigen Ärzten zu vergleichen, die eine entsprechende Qualifikation aufweisen.

4. Die Notwendigkeit der Bildung engerer Vergleichsgruppen kann allenfalls dann begründet sein, wenn sich die Praxisstruktur einzelner allgemeinmedizinisch tätiger Ärzte sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Patientenklientels wie des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebotes soweit von der Typik einer allgemeinärztlichen Praxis entfernt hat, daß der primärärztliche Versorgungsauftrag nicht mehr umfassend wahrgenommen werden kann (so zutreffend BSG vom 15.11.1995 - 6 RKa 58/94 = SozR 3-1300 § 16 Nr 1).

5. Die Annahme, daß allein aus der überdurchschnittlichen Abrechnungsfrequenz einzelner Ziffern auf ein spezifisches Qualitätsmerkmal der vertragsärztlichen Praxis geschlossen werden könne, trifft nicht zu.

6. Eine besondere Praxisausrichtung mag dazu führen, daß sich im Laufe der Zeit ein atypisches Patientenklientel einstellt. Ergibt sich hieraus ein besonderer Behandlungsbedarf, der von der Typik der Vergleichsgruppe abweicht, dann ist dies die Praxisbesonderheit (Morbiditätsstruktur der Patienten), die dem Grunde nach geeignet ist, einen erhöhten Behandlungsaufwand zu rechtfertigen.

7. Es ist Angelegenheit des Vertragsarztes, entscheidungserhebliche Umstände vorzutragen, die auf eine Abweichung von der Typik der Fachgruppe schließen lassen. Er ist nicht nur gemäß § 21 Abs 2 SGB 10 allgemein gehalten, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben; im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen hat er eine besondere Mitwirkungspflicht aus der Sache selbst, wie sie immer dann besteht, wenn ein Arzt sich auf ihm günstige Tatsachen berufen will und diese Tatsachen allein ihm bekannt oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können (vgl ua BSG vom 11.12.1985 - 6 RKa 30/84 = SozR 2200 § 368n RVO Nr 40).

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Honorarkürzungen für die Quartale IV/90, I/91 und IV/91.

Der als Arzt für Allgemeinmedizin in D seit dem 01.10.1990 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger zu 1) führt ab dem 01.04.1991 eine Gemeinschaftspraxis mit der Klägerin zu 2), die als praktische Ärztin zugelassen ist.

Der Kläger zu 1) behandelte im Quartal IV/90 177 Primärkassenversicherte gegenüber 844 im Schnitt der Vergleichsgruppe. Der Anteil an Familienfällen überschritt um 10 %, der Rentneranteil lag um 15 % unter dem Vergleichswert. Gemessen an der Vergütungsgruppe 80 (Untergruppe 6) überschritten die Gesamtleistungen um 83 % und die Sonderleistungen um 253 %. Mit Bescheid vom 06.05.1991 kürzte der Prüfungsausschuß die Sonderleistungen um 20 %. Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger zu 1) damit, daß er Facharzt für Anästhesiologie sei, eine vorwiegend auf die Behandlung chronisch Schmerzkranker subspezialisierte Allgemeinpraxis führe und die fachanästhesiologische Versorgung chirurgischer Praxen vornehme. Daher müsse er mit Praxen der gleichen Fachspezialität und Praxisbesonderheit verglichen werden. Im Quartal I/91 behandelte der Kläger zu 1) 293 Primärkassenversicherte zu 826 im Schnitt. Die Familienfälle überschritten um 8 %, der Rentneranteil lag um 12 % unter dem Durchschnitt. Die Gesamtleistungen überschritten um 74 % und die Sonderleistungen um 266 %.

Der Prüfungsausschuß kürzte mit Bescheid vom 26.07.1991 die Sonderleistungen um 20 %. Im Quartal IV/91 behandelten die Kläger 503 Primärkassenversicherte zu 861 in der Vergleichsgruppe. Der Anteil an Familienfällen lag um 7 % über dem Schnitt. Der Rentneranteil entsprach dem des Quartals I/91. Die Gesamtleistungen lagen um 56 % und die Sonderleistungen um 239 % über dem Vergleichswert. Der Prüfungsausschuß kürzte mit Bescheid vom 30.04.1992 die Sonderleistungen um 20 %. Gegen den Bescheid vom 26.07.1991 legte der Kläger zu 1) und gegen den Bescheid vom 30.04.1992 auch die Klägerin zu 2) Widerspruch ein, weil die fachanästhesiologischen und schmerztherapeu...

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