Entscheidungsstichwort (Thema)

Spezialgesetzlicher Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 SGB 9. zweiter Therapiestuhl für Besuch eines Kindergartens bzw -tagesstätte stellt Hilfsmittel iS der Krankenversicherung dar. Zinsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Die Voraussetzungen des § 14 Abs 4 SGB 9 räumen dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitationsträger ein, der den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB 10 vorgeht (vgl BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 9/09 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 10).

2. Wird für den Besuch eines Kindergartens bzw einer Kindertagesstätte für ein schwerstbehindertes Kind wegen mangelnder Transporteignung des vorhandenen Therapiestuhls ein zweiter Therapiestuhl benötigt, so ist dieser im Rahmen des § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 durch die gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen, da der Besuch dieser Einrichtungen der Befriedigung von Grundbedürfnissen, nämlich der Integration des Kindes und seiner Vorbereitung auf den Erwerb schulischen Allgemeinwissens dient (vgl LSG Essen vom 23.9.2010 - L 5 KR 117/09).

3. Die Regelungen zum Zinsanspruch nach § 108 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 10 iVm § 44 Abs 3 S 1 SGB 1 gelten für Erstattungsansprüche nach § 14 Abs 4 SGB 9 entsprechend.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.11.2011; Aktenzeichen B 3 KR 7/11 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.07.2009 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 2.760,96 Euro zuzüglich 4 % Zinsen aus 2.490 EUR ab dem 01.05.2006 und aus weiteren 270 EUR ab dem 01.07.2006 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.760,96 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Kostenerstattung (KE) bzgl. einer Zweitversorgung mit einem Therapiestuhl für den Kindergartenbesuch.

Die am 00.00.2001 geborene, über ihren Vater B bei der Beklagten familienversicherte K X (im Folgenden: Versicherte) beantragte am 09.06.2005 bei der Beklagten unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verordnung vom 28.04.2005, sie für den anstehenden Besuch eines Kindergartens im Rahmen einer Zweitversorgung mit einem Therapiestuhl "Wombat upgrade", Hilfsmittel-Nr. 26.11.050009, Größe 2 mit Zubehör zu versorgen. Nach dem beigefügten Kostenvoranschlag des Sanitätshauses C vom 09.05.2005 beliefen sich die Kosten auf 4.875,37 EUR. Diesen Antrag leitete die Beklagte mit Schreiben vom 10.06.2005, Eingang bei dem Kläger am 13.06.2005, an den Kläger weiter, da nach Auffassung der Beklagten eine Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gegeben war. Die Versicherte sei bereits seit dem 20.11.2003 mit einem Zimmeruntergestell "Lex" und einer Sitzeinheit "EASyS" versorgt. Eine Zweitversorgung für den Kindergarten zu Lasten der GKV komme nicht in Betracht. Weder der Weg zu Kindergarten oder Schule noch der Transport eines notwendigen Hilfsmittels dorthin gehöre zu den über die GKV versicherten Risiken. In Betracht kämen jedoch Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Die Weiterleitung erfolge nach § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den aus ihrer, der Beklagten, Sicht zuständigen Leistungsträger. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag informierte die Beklagte den Vater der Versicherten über die Weiterleitung des Antrages.

Parallel dazu hatte die Versicherte am 01.03.2005 bei dem Landrat des Kreises H als örtlichem Träger der Sozialhilfe einen Antrag auf Kostenübernahme (KÜ) für die Aufnahme in die additive Tageseinrichtung für Kinder "U" in S gestellt. Den Antrag sowie das amtsärztliche Gutachten und den Eingliederungsvorschlag leitete der Landrat an den Kläger als überörtlichen Träger der Sozialhilfe weiter. Danach bestand bei der Versicherten eine schwere allgemeine Entwicklungsstörung bei Zustand nach Frühgeburt in der 26. Schwangerschaftswoche mit Epilepsie, cerebraler Bewegungsstörung, Sehbehinderung und fehlender Sprachentwicklung. Das aktuell dreijährige Mädchen, das zwei Mal wöchentlich Krankengymnastik, Frühförderung und Seh-Frühförderung bei Strabismus beidseits erhalte, sei 87 cm groß und wiege 10 kg. Es liege in der Rückenlage. Ein aktives Drehen sei nicht möglich, ebenso wenig aktive Fortbewegung. Ein gezieltes Greifen größerer Gegenstände scheine rechts möglich, die linke Hand sei gefaustet. Eine selbständige Nahrungsaufnahme sei nicht möglich. Die Kost werde püriert. Das Kind müsse gewindelt werden. Der Rumpf stelle sich hypoton dar, Gleiches gelte für die Extremitäten. Eine Lautäußerung sei nicht zu verzeichnen, die visuelle Wahrnehmung sei deutlich beeinträchtigt. Zudem bestehe eine deutliche mentale Retardierung. Im Rahmen der Eingliederung sei die Aufnahme in eine integrative Kindertagesstätte erforderlich (mit Krankengymnastik, Ergotherapie, Wahrnehmungs- und Sprachförderung). Bei der Schwere des Krankheitsbildes reichten ambul...

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