Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeldanspruch. nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer. § 1 Abs 6 BErzGG idF vom 13.12.2006. Verfassungsmäßigkeit. § 24 Abs 3 BErzGG idF vom 13.12.2006. Günstigkeitsprinzip

 

Orientierungssatz

1. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs 6 Nr 3 Buchst b BErzGG idF vom 13.12.2006.

2. Nach § 24 Abs 3 BErzGG idF vom 13.12.2006 ist § 1 Abs 6 BErzGG idF vom 13.12.2006 in solchen Fällen anzuwenden, in denen eine Entscheidung über den Anspruch auf Erziehungsgeld für einen Bezugszeitraum zwischen dem 27. Juni 1993 und dem 18. Dezember 2006 noch nicht bestandskräftig geworden ist, wenn dies für die Erziehungsgeld beantragende Person günstiger ist. Folgt aus § 1 Abs 6 BErzGG idF vom 13.12.2006 kein Anspruch, kann indes nicht die zu Beginn des Anspruchszeitraums geltende Vorgängerschrift des § 1 Abs 6 BErzGG idF vom 27.12.2004 durch eine verfassungskonforme Auslegung erweitert werden und als (dann) günstigste Fassung angewandt werden.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.02.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erziehungsgeld für die Betreuung des 2004 geborenen Kindes B der Klägerin für den Zeitraum vom 02.02. bis 14.10.2006.

Die 1978 geborene Klägerin ist togolesische Staatsangehörige, verheiratet und hat 4 Kinder. Sie reiste im August 2000 mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Sohn V nach Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigte. Die Ablehnung des Asylantrags wurde am 19.12.2000 bestandskräftig. Während des Asylverfahrens war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens, danach im Besitz einer Duldung. Die Rückführung der Klägerin und ihres Ehemanns in ihr Heimatland scheiterte zeitweilig unter anderem daran, dass sie und ihr Ehemann keine Möglichkeit sahen, alle für eine Passbeschaffung notwendigen Dokumente vorzulegen.

Das jüngste Kind B der Klägerin wurde 2004 geboren und ist körperbehindert.

Für ihn wurde am 13.12.2005 bestandskräftig festgestellt, dass hinsichtlich seines Heimatstaates Togo Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bestehen. Daraufhin erhielt er am 02.02.2006 ein Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.

Die Klägerin besitzt ebenfalls seit dem 02.02.2006 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf unabsehbare Zeit, verbunden mit der Gestattung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit sowie einer selbständigen Erwerbstätigkeit unter Erlaubnisvorbehalt. Sie war und ist nicht erwerbstätig, bezieht keine Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und nimmt keine Elternzeit in Anspruch. Die Familie bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unter Anrechnung von Einkommen des Ehemanns der Klägerin, das dieser aus einer erlaubten Erwerbstätigkeit erzielt.

Am 07.08.2006 (Eingang des Antrags) beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt B Erziehungsgeld für das 1. und das 2. Lebensjahr von B in Höhe des Regelbetrages.

Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 10.08.2006 ab mit der Begründung, die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 6 Satz 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes ((BErzGG)) in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung des Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 BGBl. 1, 1950; im Folgenden: BErzGG 2005); sie sei weder im Besitz einer Niederlassungserlaubnis noch einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 BErzGG 2005.

Dagegen legte die Klägerin am 22.08.2006 Widerspruch ein. Sie verwies auf den Entwurf eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschriften, durch das u.a. § 1 Abs. 6 BErzGG geändert werden solle, und bat um Aussetzung der Entscheidung über den Widerspruch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes.

Nach Erlass des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschriften vom 13.12.2006 (BGBl. I, 2915; im Folgendes BErzGG 2006) wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 30.05.2007 zurück mit der Begründung, die Klägerin erfülle auch nicht die Voraussetzungen des neu geregelten § 1 Abs. 6 BErzGG, der rückwirkend zum 01.01.2006 in Kraft getreten sei.

Dagegen hat die Klägerin am 25.06.2007 Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass weder die Neuregelung des BErzGG 2006 noch die bis 31.12.2005 geltende Fassung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2005 verfassungsgemäß seien. Beide Regelungen entsprächen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 06.07.2004 (1 BvR 2515/95), mit dem es die ab 27.06.1993 geltende Regelung der Voraussetzungen des Erziehungsgeldanspruchs für Ausländer für verfassungswidrig erklärt ha...

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