Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimittelregress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise

 

Orientierungssatz

1. Zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode. Steht der Behandlungs- bzw. Verordnungsaufwand des einzelnen Vertragsarztes je Fall in einem offensichtlichen Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe, so hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit.

2. Eine höhere Kostenverursachung durch Knappschaftsversicherte käme nur dann in Betracht, wenn diese kränker wären als die übrigen in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

3. Ein Überschreiten des Durchschnittsaufwandes um 40 % zur Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses unterliegt keinen Beanstandungen. Selbst gegen einen Grenzwert von unter 40 % greifen dann keine Bedenken, wenn die Prüfgremien Besonderheiten der Praxis von vorneherein mit berücksichtigt haben.

4. Will der Vertragsarzt einen Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit entkräften, so muss er eine bestehende Praxisbesonderheit nachweisen.

5. Ein abweichender hoher Rentneranteil kann eine rechtserhebliche Praxisbesonderheit darstellen.

6. Macht der Vertragsarzt geltend, die von ihm behandelten älteren Patienten wiesen eine höhere Morbiditätsrate als ansonsten von seiner Fachgruppe behandelte ältere Patienten auf und bedürften deshalb weitergehender Arzneimittelverordnungen, so muss er substantiiert darlegen, bei welchem Patienten aufgrund welcher Erkrankungen welcher erhöhte Verordnungsaufwand erforderlich ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.10.2012; Aktenzeichen B 6 KA 3/12 C)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25.02.2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der als praktischer Arzt in D zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Arzneimittelregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in den Quartalen I/1998 bis IV/2001.

Die Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen/Ersatzkassen in Westfalen-Lippe beantragte unter dem 22.03.2000, 23.03.2000, 24.03.2000 und 24.03.2000 beim Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsausschuss) die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers für die vier Quartale des Jahres 1998 wegen Überschreitung durchschnittlicher Arzneikosten um 103,5 %, 80,9 %, 108,9 % und 118,2 %. Auf die Mitteilung der Prüfanträge vom 21.08.2000, 06.11.2000, 01.12.2000 und 11.12.2000 für das Jahr 1999 sowie vom 26.03.2001, 21.09.2001 und 20.12.2001 für die Quartale I, III, und IV/2000 wegen Überschreitungen der durchschnittlichen Arzneimittelkosten um zwischen 81,3 % und 106,6 % reagierte der Kläger ebenso wenig wie auf die Mitteilung des Prüfungsausschusses über die wegen weiterer Überschreitungen im Umfang von zwischen 88,1 % und 108,6 % von Amts wegen eingeleiteten Prüfverfahren für die vier Quartale des Jahres 2001 vom 12.07.2002, 29.08.2002, 29.08.2002 und 12.11.2001.

Mit Beschlüssen vom 20.09.2001 (Quartale I/1998 bis IV/1999), vom 19.06.2002 (Quartale I/2000, III/2000 und IV/2000) und zwei weiteren Beschlüssen vom 09.06.2004 (Quartale I/2001 und IV/2001 sowie II/2001 und III/2001) setzte der Prüfungsausschuss Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise bei Arzneimitteln in einem Umfang von insgesamt 678.671,45 EUR fest.

Seine hiergegen fristgerecht eingelegten Widersprüche begründete der Kläger im Wesentlichen wie folgt: Der Rentneranteil seiner Patienten sei im Vergleich zur Fachgruppe der Allgemeinmediziner sehr hoch (von 48,85 % gegenüber der Fachgruppe von 27,58 % im Quartal I/2001 bis 58,91 % gegenüber der Fachgruppe von 28,3 % im Quartal I/1998); er behandele insbesondere viele ältere multimorbide Patienten, die wegen der hohen Anzahl von Diabetikern, Refluxoesophagitis-Patienten, Dementen, Depressiven, Osteoporose-Patienten und Asthmatikern für die Überschreitungen im Arzneimittelbereich mitursächlich seien. Der Großteil der Patienten sei zwischen 50 und 80 Jahren alt. Auffällig hoch sei die Zahl der Patienten zwischen 70 und 100. Deren Anteil betrage in sämtlichen Prüfquartalen ca. 30 %. Der Kläger legte hierzu eine Übersicht über die Altersstruktur in seiner Praxis sowie beispielhafte Auswertungen seiner Arzneimittelverordnungen für das Quartal I/2000 vor, die den kausalen Zusammenhang zwischen den überdurchschnittlichen Arzneiverordnungen und dem hohen Rentneranteil zeige. So liege etwa die Zahl der behandelten Diabetiker in der Praxis bei ca. 20 % gegenüber dem Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von 7 bis 10 %. Die in diesem Quartal für die Osteoporosebehandlung bei 11 Rentnern angefallenen Verordnungskosten, entsprächen nahezu den gesamten Osteoporoseverordnungskosten für ca. 100 Patienten im...

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