Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblichkeit der Anhaltspunkte (AHP) im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) kommt keine Normqualität zu. Vielmehr handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, die aus Gründen der Gleichbehandlung normähnlichen Charakter haben und von den Sozialgerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind.

2. Die AHP müssen grundsätzlich den aktuellen herrschenden Wissens- und Erkenntnisstand der sozialmedizinischen Wissenschaft wiedergeben. Falls die Beurteilungskriterien der AHP aufgrund geänderter Ergebnisse und Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft überholt sind, hat eine systemgerechte Korrektur zu erfolgen.

3. Der Nachweis von geänderten Erkenntnissen der sozialmedizinischen Wissenschaft kann durch veröffentlichte Rundschreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) oder durch die Beschlüsse der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMGS geführt werden.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.07.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für die bei dem Kläger vorliegende Teilhabebeeinträchtigung nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.

Der am 00.00.1959 geborene Kläger beantragte am 05.12.2003, den bei ihm vorliegenden GdB festzustellen. Das Versorgungsamt zog einen Befundbericht des den Kläger behandelnden praktischen Arztes T2 bei, der unter anderem einen insulinpflichtigen Diabetes Typ II aufführte. Nach Auswertung des Befundberichts durch seinen medizinischen Dienst stellte das Versorgungsamt mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.04.2004 einen GdB von 30 fest. Dem lagen folgende Funktionsstörungen zu Grunde:

1. Zuckerkrankheit (GdB 30)

2. Psychovegetative Störungen mit funktionellen Organstörungen, gefäßbedingter Kopfschmerz, depressive Störung (GdB 10)

3. Wirbelsäulenveränderungen mit Nervenreizungen (GdB 10).

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung der 31. Kammer des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf damit, dass für die Bewertung des für einen Diabetes mellitus anzusetzenden GdB nicht die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) sondern der Katalog der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) maßgeblich sei.

In einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme führte der medizinische Dienst des Versorgungsamtes aus, dass nach dem Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) vom 05.11.2003 der beim Kläger vorliegende und mit Insulin behandelte Diabetes -Typ II mit einem GdB von 30 zu bewerten sei, da Hypoglykämien (Unterzuckerungen) nicht aufträten. Die Bezirksregierung Münster - Abteilung Soziales und Arbeit, Landesversorgungsamt - wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2004 zurück.

Mit der hiergegen am 24.06.2004 erhobenen Klage hat der Kläger sein auf Feststellung eines GdB von 50 gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Er hat vorgetragen: Der Beiratsbeschluss könne frühestens mit seiner Veröffentlichung in den AHP im Juni 2004 verbindlich geworden sein. Daher seien die AHP von 1996 anzuwenden. Diese würden für einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus einen GdB von 50 vorgeben. Außerdem leide er unter einer Allergie gegen Insulin. Infolge allergischer Reaktionen habe er seinen Beruf als Fahrzeuglackierer aufgeben müssen. Das müsse bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden. Ferner bestünden Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Kniegelenke, psychische Beschwerden und Kopfschmerzen sowie eine Schlafapnoesymptomatik mit schwergradigem Befund.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 16.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2004 zu verurteilen, einen GdB von 50 festzustellen.

Das zunächst beklagte Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit ein höherer GdB als 40 beantragt wird.

Zur Begründung hat es sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid berufen. Das Sozialgericht (SG) hat einen Bericht der Deutschen Diabetes Klinik E vom 22.04.2004 beigezogen, in dem ein mit Insulin behandelter Diabetes Typ II und eine lokale Insulinallergie beschrieben wird. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachten von Dr. C (02.12.2004) sowie eines internistischen Gutachtens vom Internisten und Diabetologen Dr. N1 (28.12.2004). Der Sachverständige Dr. C hat das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Der Sachverständige Dr. N1 ...

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