Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Kündigung eines mit einem ambulanten Pflegedienst geschlossenen Versorgungsvertrags

 

Orientierungssatz

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen.

2. Geht es einem ambulanten Pflegedienst nach Kündigung durch die Krankenkasse mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz darum, den mit der Krankenkasse geschlossenen Versorgungsvertrag bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zu verlängern und die auf dieser Grundlage erbrachten Leistungen vergütet zu erhalten, so ist ihm einstweiliger Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ihm ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist.

3. Ein Umsatzverlust von 3,3 % des Gesamtumsatzes des Pflegedienstes erfüllt nicht die Anforderungen an eine Regelungs- und Sicherungsanordnung i. S. des § 86b Abs. 2 SGG; er ist nicht geeignet, einen wesentlichen Nachteil glaubhaft zu machen.

4. Im Fall der ordentlichen Kündigung eines von dem Krankenversicherungsträger mit einem ambulanten Pflegedienst geschlossenen Versorgungsvertrags bedarf es nicht eines Kündigungsgrundes.

 

Normenkette

SGG § 86b Abs. 2 Sätze 1-2; SGB V §§ 132, 132a Abs. 2; ZPO § 294 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.05.2015 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Kündigung eines Vertrages gemäß §§ 132, 132a Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Die Antragstellerin ist ein im Jahre 2006 gegründeter ambulanter Pflegedienst. Sie versorgt mit ca. 120 Mitarbeitern etwa 455 Patienten und eine Wohngemeinschaft mit acht Patienten. Der jährliche Gesamtumsatz belief sich in den letzten Jahren nach eigenen Angaben auf jährlich ca. 3 Mio. EUR, wovon etwa jährlich 100.000,00 EUR durch Leistungen erzielt wurden, die gegenüber Versicherten der Antragsgegnerin im Rahmen der häuslichen Krankenpflege (SGB V-Bereich) erbracht wurden. Die monatlichen Kosten (Personal, Büro, Mieten, Versicherungen, Leasingverträge etc.) belaufen sich nach eigenen Angaben auf 200.000,00 EUR bis 250.000,00 EUR.

Zum 01.05.2006 war die Antragstellerin dem Vertrag gemäß §§ 132,132a Abs. 2 SGB V zwischen dem Landesverband freie ambulante Krankenpflege NRW e.V. (LfK) und der AOK Rheinland/Hamburg, der AOK Westfalen-Lippe, der IKK Nordrhein, der Vereinigten IKK, der Knappschaft (Antragsgegnerin) und der Landwirtschaftlichen Krankenkasse NRW beigetreten. Gegenstand dieses Rahmenvertrags ist die Durchführung der häuslichen Krankenpflege, der häuslichen Pflege und der Haushaltshilfe.

Im März 2013 wurden die Büroräumlichkeiten der Antragstellerin wegen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Köln gegen Geschäftsführer der Antragstellerin wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges durchsucht. Mit Schreiben vom 29.01.2015 kündigte die AOK Rheinland/Hamburg den Rahmenvertrag fristlos zum 28.02.2015, hilfsweise fristgerecht zum 30.06.2015. In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2015 des gegen die Kündigung gerichteten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Sozialgericht (SG) Köln, Az. S 37 KR 106/15 ER) akzeptierte die Antragstellerin die ordentliche Kündigung des bestehenden Vertragsverhältnisses, worauf die Beteiligten übereinstimmend die Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 30.06.2015 erklärten.

Mit Schreiben vom 20.03.2015 kündigte die Antragsgegnerin, Regionaldirektion Bergheim, Vertragswesen, das Vertragsverhältnis zur Antragstellerin fristgerecht zum 30.06.2015.

Hierauf hat die Antragstellerin das SG Köln am 14.04.2015 zwecks Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes angerufen. Sie hat vorgetragen: Es bestehe ein Anordnungsgrund, da ohne den Versorgungsvertrag mit der Antragsgegnerin über 100.000,00 EUR ihres Jahresumsatzes entfielen. Ihre Patienten müssten sich kurzfristig einen neuen Pflegedienst suchen. Sie werde diese dauerhaft verlieren. Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens werde sie keine neuen, bei der Antragsgegnerin kranken- oder pflegeversicherten Kunden gewinnen können. Der hierdurch bedingte erhebliche wirtschaftliche Schaden werde auch bei einem positiven Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht wieder gut gemacht werden können. Die Regionaldirektion Bergheim sei nicht berechtigt, im Namen der Hauptgeschäftsstelle den Versorgungsvertrag zu kündigen. Die Kündigungsvoraussetzungen lägen im Übrigen nicht vor. Die Staatsanwaltschaft habe das Strafverfahren noch nicht abschließend bewertet. Zwar entspreche die Kündigung dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 des Vertrages und sei auch fristgerecht erfolgt. Sie - die Antragstellerin - erfülle aber weiterhin die Beitrittsvoraussetzungen. Ohnehin dürfe die schwer in ihren Betrieb eingreifende Kündigung ni...

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