Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Vollstreckung durch einstweilige Anordnung. Krankenversicherung. Anspruch auf Kostenübernahme für das Arzneimittel Myozyme im Rahmen einer Enzymersatztherapie zur Behandlung eines Morbus Pompe

 

Orientierungssatz

1. Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, nach § 199 Abs 2 S 1 SGG die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen.

2. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht überschaubar, so sind die betroffenen Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung und Dringlichkeit sowie der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung des Anspruchs abzuwägen.

3. Der Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung unterliegt den sich aus den §§ 2 Abs 1 und 12 Abs 1 SGB 5 ergebenden Einschränkungen. Morbus Pompe ist eine seltene progressive Muskelerkrankung, die mit Lähmungen bis hin zur Rollstuhlpflichtigkeit sowie späterer Beatmungsnotwendigkeit verbunden sein kann (vgl BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 25/11 R = BSGE 111, 168-177 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22).

4. Der Nutzen der Enzymtherapie mit dem Arzneimittel Myozyme bei der adulten Verlaufsform des Morbus Pompe ist nicht hinreichend belegt. Andererseits gibt es für diese Krankheit keine andere Behandlungsmöglichkeit als die Enzymsubstitution.

5. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB 5 gebietet es, das Verhältnis von Preis und Nutzen nicht unbeachtet zu lassen. Die Behandlung des Morbus Pompe mittels Enzymsubstitution kostet monatlich ca 34.000.- €.

6. Ist der Morbus Pompe nach der konkreten Variante eine lebensbedrohende oder sogar regelmäßig tödliche Erkrankung, für die es keine andere Behandlungsmöglichkeit als die Enzymsubstitution gibt, so ist die Leistung ungeachtet der erheblichen Kosten zu gewähren. Dies setzt voraus, dass sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraumes mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R = BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19).

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12.10.2012 durch einstweilige Anordnung auszusetzen, wird abgelehnt. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kostenübernahme für das Arzneimittel Myozyme im Rahmen einer Enzymersatztherapie zur Behandlung eines "Morbus Pompe" hat. Hierbei handelt es sich um eine seltene progressive Muskelerkrankung, die mit einer exzessiven Speicherung von Glykogen in der gesamten Muskulatur einhergeht und mit Lähmungen bis hin zur Rollstuhlpflichtigkeit sowie späterer Beatmungsnotwendigkeit verbunden sein kann. Der durch diese Erkrankung hervorgerufene Enzymmangel führt zu Ansammlungen von Glykogen insbesondere im Herzmuskel, der Atem- und Skelettmuskulatur.

Das Arzneimittel Myozyme ist seit März 2006 durch die Europäische Zulassungsbehörde (EMEA) für die Indikation "Morbus Pompe" ohne Beschränkung auf bestimmte Verlaufsformen zugelassen. Im europäischen Beurteilungsbericht heißt es: "Für die späte Verlaufsform der Krankheit wurde der Nutzen von Myozyme nicht nachgewiesen. Das Unternehmen wird die Wirkung von Myozyme bei Patienten mit Morbus Pompe in der späten Verlaufsform weiter untersuchen." Die Herstellerfirma Genzyme hat in der Folgezeit eine sogenannte LOT-Studie (Late-Onset-Treatment-Study) in Auftrag gegeben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Arzneimittelzulassung auf die späte (adulte) Form des Morbus Pompe erstreckt.

Der am 00.00.1967 geborene, an Morbus Pompe erkrankte Kläger ist bei der Beklagten pflichtversichert. Seinen erlernten Beruf als Schlosser kann er krankheitsbedingt nicht mehr ausüben; er arbeitet als Fahrer bei der S AG. Im Jahre 1997 wurde bei ihm ein Morbus Pompe der adulten Verlaufsform bioptisch und molekulargenetisch diagnostiziert. Der Kläger leidet unter einer progressiven Myopathie der proximalen Muskulatur im Becken- und Schultergürtelbereich sowie Beteiligung der Atemfunktion im Sinne einer zentralen Schlafapnoe. Zudem wurde ein Brugada-Syndrom festgestellt, eine seltene und meist autosomal-dominant, typischerweise mit unvollständiger Penetranz vererbte Krankheit des Herzens. Im Jahre 2003 wurde er mit einem BiPAP-Gerät versorgt. Im Jahre 2002 erfolgte die Implantation eines ICD (kardioverter Defibrillator).

Seit September 2006 erhält der Kläger auf Veranlassung von Prof. Dr. Z (Leitender Arzt der Abteilung für Ambulante Neurologie - Schlafmedizin des Medizinischen Versorgungszentrums am Universitätsklinikum M (UKM)) eine Enzymsubstitutionsbehandlung mit dem Medikament Myozyme. Die Enzymtherapie bewirkt eine Entspeicherung der pathologis...

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