Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Notdienst. Heranziehung des Vertragsarztes am Sitz der Zweigpraxis

 

Orientierungssatz

1. Die den Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 75 Abs 1 SGB 5 obliegende Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung umfasst auch die Sicherstellung des Notfalldienstes. Der Vertragsarzt ist verpflichtet, den Notfalldienst mitzutragen, solange er in vollem Umfang vertragsärztlich tätig ist.

2. Auslösender Faktor für die Teilnahmepflicht ist die Niederlassung als Arzt, nicht hingegen die geographische Zuordnung dieser Tätigkeit. Nach dem Sinn und Zweck des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV sind Inhaber einer Zweigpraxis als notfalldienstverpflichtet anzusehen.

3. Mit der vertragsärztlichen Versorgung im Gebiet der Zweigpraxis ist der Notfalldienst untrennbar verbunden. Die dem Vertragsarzt auferlegte Verpflichtung, seinen Patienten umfassend zur Verfügung zu stehen, betrifft nicht nur die Patienten des Praxissitzes, sondern auch jene am Ort der Zweigpraxis.

4. Nimmt ein Vertragsarzt für sich das Recht zum Betreiben mehrerer Praxen in Anspruch, so folgt daraus zwingend auch eine entsprechend umfangreichere Mitwirkungspflicht an der Notfallversorgung. Die Heranziehung eines solchen Arztes zu einem mehrfachen Notfalldienst ist daher nach dem Gleichheitsgrundsatz geboten.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 03.08.2009 abgeändert.

Die Anträge der Antragsteller werden zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 15.05.2009 zu Ziffer 2. klarstellend dahin geändert, dass die sofortige Vollziehung der Notfalldienstpläne Gladbeck (Gynäkologen) und Borken (allgemeiner Notfalldienst) für den Zeitraum 20.05.2009 bis 31.01.2010 bzw. 20.05.2009 bis 01.07.2009 angeordnet wird.

Die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens einschließlich der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin tragen die Antragsteller zu je 1/3 als Gesamtschuldner.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird 7.500,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob die Antragsteller verpflichtet sind, Notfalldienste am Sitz ihre Zweigpraxen in Gladbeck und Raesfeld zu verrichten.

Die Antragsteller sind als Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in E zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führen eine Gemeinschaftspraxis. Unter dem 15.02.2007 haben sie bei der Antragsgegnerin eine Zweigpraxisgenehmigung in Raesfeld, L-straße 00, zur Durchführung gynäkologischer Behandlungen und Untersuchungen beantragt. Mit Bescheid vom 21.03.2007 hat die Antragsgegnerin den Antragstellerin die Genehmigung zur vertragsärztlichen Tätigkeit in der Zweigpraxis Raesfeld mit der Maßgabe von Sprechstundenzeiten von montags und donnerstags von 8 Uhr bis 11 Uhr und von 15.30 Uhr bis 17.00 Uhr dienstags, mittwochs und freitags von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr für das Leistungsspektrum "Frauenheilkunde und Geburtshilfe" erteilt. Das Sprechstundenangebot beläuft sich hiernach auf 21 Stunden. Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin im Genehmigungsbescheid ausgeführt: "Zur Teilnahme am organisierten Notfalldienst am Ort der Zweigpraxis sind o.g. Ärzte augenblicklich bei einem Sprechstundenangebot von unter 19 Stunden nicht verpflichtet." Eine weitere Zweigpraxis führen die Antragsteller in Gladbeck-Zweckel.

Mit Schreiben vom 07.12.2007 haben die Antragsteller darum gebeten, die Sprechstundenzeiten für die Zweigpraxis Raesfeld zu ändern. Hierauf hat die Antragsgegnerin die Genehmigung für die im einzelnen aufgeführten Sprechstundenzeiten durch Bescheid vom 12.12.2007 auf 17 Stunden reduziert und abschließend ausgeführt: "Im Übrigen verbleibt es bei dem Bescheid vom 21.03.2007."

Mit Schreiben vom 19.03.2008 hat die Antragsgegnerin die Antragsteller auf die ihnen obliegende Notfalldienstverpflichtung am Ort der Zweigpraxis hingewiesen und ausgeführt, die Zweigpraxis sei wie der Vertragsarztsitz als ärztliche Niederlassung zu qualifizieren, an die jeweils die Verpflichtung zur Teilnahme am organisierten Notfalldienst geknüpft sei. Übergangsweise habe der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) im Einvernehmen mit dem Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) von einer Heranziehung zum Notfalldienst am Ort der Zweigpraxis abgesehen. Maßgeblich hierfür sei gewesen, dass mit dem zum 01.01.2007 durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) eingeführten Instrument der Zweigpraxis Erfahrungen hätten gesammelt werden sollen. Zwischenzeitlich seien Zweigpraxen zu einer versorgungsrelevanten Größe herangewachsen, so dass auch sie einen Beitrag zur Sicherstellung der Notfallversorgung leisten müssten. Mit Wirkung ab 01.07.2008 gelte daher in Absprache mit dem Vorstand der ÄKWL Folgendes:

Jeder Vertragsarzt, der eine Zweigpraxis betreibe, sei - unabhängig vom Umfang der angebotenen Sprechstunden - neben der Teilnahme am organisierten Notfalldienst am Vertragsarztsitz auch mit dem Faktor 0,5 zusätzlich a...

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