Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. fiktive Terminsgebühr. außergerichtlicher Vergleichsabschluss. Vorliegen eines "schriftlichen Vergleichs" iS von Nr 3106 S 1 Nr 1 Alt 2 RVG-VV bei Sachverhalten vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021

 

Orientierungssatz

1. Bei der mit Wirkung zum 1.1.2021 erfolgten Umformulierung des Gesetzestextes zur Terminsgebühr (Nr 3106 RVG-VV) durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 (juris: KostRÄG 2021) handelt es sich ausweislich der Gesetzesbegründung nicht um eine Änderung, sondern um die sprachliche Klarstellung einer bereits zuvor geltenden Rechtslage.

2. Der Senat hält daher an seiner Rechtsprechung, wonach unter einem "schriftlichen Vergleich" iS von Nr 3106 RVG-VV nur ein unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 101 Abs 1 S 2 SGG und § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 ZPO zu verstehen sei (vgl LSG Essen vom 11.3.2015 - L 9 AL 277/14 B = NZS 2015, 560), nicht mehr fest.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Erinnerungsführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 04.02.2022 geändert. Die dem Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird auf 593,81 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Anwaltsvergütung in einem abgeschlossenen sozialgerichtlichen Verfahren, das die Bewilligung von Kinderzuschlag (§ 6a BKGG) zum Gegenstand hatte und für das die Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers erhalten hat. Mit Schriftsatz vom 17.07.2018 hatte die beklagte Fami-lienkasse angeboten, das Verfahren durch Zahlung iHv 2.425 EUR und Erstattung der Hälf-te der außergerichtlichen Kosten zu erledigen. Daraufhin hatte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.09.2018 erklärt: "Mit diesem Vorschlag sind wir grundsätz-lich einverstanden und bitten das Gericht, entsprechend den Vergleich zu protokollie-ren". Daraufhin war das Verfahren durch das Sozialgericht als erledigt betrachtet und ausgetragen worden, die Beteiligten hatten eine entsprechende Mitteilung erhalten.

Mit Einverständnis der Klägerin hatte der Bevollmächtigte seinen Vergütungsanspruch an die PVS ra GmbH M./R. abgetreten. Diese hat mit Rechnung vom 02.04.2019 eine Vergütung iHv 593,81 EUR geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzt:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) 300 EUR Abzüglich Anrechnung (Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG) - 75 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 270 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 300 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20 EUR Dokumentenpauschale (Nr. 7000 VV RVG) 4 EUR 19% Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 155,61 EUR Abzug Vorschuss \226 380,80 EUR Gesamtbetrag 593,81 EUR.

Mit Beschlüssen vom 18.04.2019 und 04.02.2022 (beim Beschwerdeführer eingegangen am 15.02.2022) hat das Sozialgericht die Vergütung auf 272,51 EUR festgesetzt. Es hat alle geltend gemachten Positionen mit Ausnahme der Terminsgebühr nebst anteiliger Um-satzsteuer anerkannt. Diese macht der Bevollmächtigte mit der am 01.03.2022 erhobenen Beschwerde weiter geltend.

II.

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Berufsrichtern gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR und die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG ist gewahrt.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte seine Vergütungsforderung an die PVS ra GmbH abgetreten hat. Zwar fehlt grundsätzlich die Beschwerdebefugnis, wenn ein beigeordneter Rechtsanwalt seine Vergütungsforderung gegenüber der Landeskasse an eine private Abrechnungsgesellschaft abgetreten hat (hM, vgl. nur Beschluss des Senats vom 03.03.2016 - L 9 SO 462/14.B). Im vorliegenden Verfahren ist jedoch aus den Umständen des Festsetzungsverfahrens der Schluss gerechtfertigt, dass der Bevollmächtigte befugt ist, das fremde Recht der PVS ra GmbH im eigenen Namen geltend zu machen. Die Ermächtigung des Klägers zur Prozessführung im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft kann auch konkludent erteilt werden (BGH Urteil vom 03.07.2002 - XII ZR 234/99). So liegt der Fall hier, denn das Verfahren auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen erfolgt offensichtlich mit dem Einverständnis der PVS ra GmbH. Schutzwürdige Interes-sen der Staatskasse stehen dem nicht entgegen.

Die Beschwerde ist begründet. Mit Ausnahme der im Beschwerdeverfahren allein umstrittenen Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG hat das Sozialgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung die vom Bevollmächtigten der Klägerin geltend gemachte Vergütung unter Abzug des dem Bevo...

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