Entscheidungsstichwort (Thema)

Untätigkeitsklage. Kostenentscheidung. Abwägung. zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruches

 

Orientierungssatz

1. Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG trifft das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich sind (Vergleiche LSG Essen, Beschluss vom 09.05.2003 - L 3 B 7/02 RJ). War die Untätigkeitsklage zulässig und begründet, muss die Behörde die aussergerichtlichen Kosten grundsätzlich tragen.

2. Nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben scheidet eine Kostenerstattung in der Regel aus, wenn die beklagte Behörde aus zureichenden Gründen nicht entschieden hatte und der Widerspruchsführer diese Gründe kannte oder kennen musste und deshalb nicht mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

3. Eine "hohe Zahl" anhängiger Widerspruchsverfahren ist allein noch kein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs. Denn Personalmangel oder eine unzureichende Ausstattung mit sachlichen Haushaltsmitteln entschuldigen das Fristversäumnis grundsätzlich nicht.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Oktober 2006 geändert: Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren zur Hälfte. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob die Beklagte der Klägerin die außergerichtlichen Kosten einer Untätigkeitsklage erstatten muss.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2006 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin Hinterbliebenenrente und Sterbegeld aus Anlass des Todes ihres Ehemanns I Q (Versicherter) zu gewähren. Dagegen erhob sie am 06. März 2006 Widerspruch, forderte die Beklagte auf, ihren Bevollmächtigten "die vorliegenden Krankenunterlagen" zu übersenden und kündigte eine "weitere Begründung" an. Auf telefonische Rückfrage vom 10. März 2006 teilten die Klägerbevollmächtigten mit, dass eine Übersendung der siebenbändigen Verwaltungsakte entbehrlich sei. Mit Schreiben vom 27. März 2006 baten die Klägerbevollmächtigten, ihnen sämtliche ärztlichen Unterlagen zu übersenden, die mit dem Ableben des Versicherten zu tun hätten. Daraufhin übersandte ihnen die Beklagte am 05. April 2006 die Verwaltungsakten zur Einsicht. Am 24. April 2006 begründete die Klägerin ihren Widerspruch. Die Beklagte zog daraufhin den Behandlungsbericht des St.-K-Hospitals in E bei, wo der Versicherte am 15. Januar 2006 verstorben war. Am 10. Mai 2006 entschied die Beklagte, dass sie dem Widerspruch nicht abhelfe, und legte die Akten der Widerspruchsstelle vor. Diese teilte den Klägerbevollmächtigten unter dem 19. Mai 2006 mit, dass der Widerspruchsausschuss "baldmöglichst entscheiden" werde. "Aufgrund der hohen Zahl der anhängigen Verfahren", bat die Widerspruchsstelle "jedoch um Verständnis, dass mit einer kurzfristigen Entscheidung nicht gerechnet werden" könne. Man bitte "insoweit noch um etwas Geduld."

Am 23. August 2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Untätigkeitsklage erhoben, weil sich seit der Zwischennachricht vom 19. Mai 2006 "nichts getan" habe. Nachdem die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2006 zurückgewiesen hatte, erklärte die Klägerin die Untätigkeitsklage für erledigt. Gleichzeitig beantragte sie, der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden seien. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die "hohe Zahl der anhängigen Verfahren" befreie die Beklagte nicht davon, die dreimonatige Bescheidungsfrist einzuhalten. Soweit die Beklagte personell zu knapp ausgestattet sei, müsse sie sich dies als "Organisationsverschulden zurechnen lassen".

Mit Beschluss vom 18. Oktober 2006 verneinte das SG eine Kostenpflicht der Beklagten: Aufgrund der Zwischennachricht habe die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht mit einer Bescheidung ihres Widerspruchs rechnen dürfen. Es verstoße gegen "Treu und Glauben", wenn sie trotz Zwischennachricht ohne Vorwarnung oder Fristsetzung Untätigkeitsklage erhebe.

Nach Zustellung am 23. Oktober 2006 hat die Klägerin gegen diese Entscheidung am Folgetag Beschwerde eingelegt, der das SG mit Beschluss vom 25. Oktober 2003 nicht abgeholfen hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es sei nicht ihre Aufgabe, die Gründe für die Nichtbescheidung bei der Beklagten zu erfragen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin keine Kosten zu erstatten hat.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 102 Satz 3, 2. Halbsatz des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch ...

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