Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für den arbeitsuchenden Altunionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für Altunionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Weil sich diese Frage im Eilverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht klären lässt, ist eine Folgenabwägung in summarischer Prüfung vorzunehmen.

2. Nach der Rechtsprechung des EuGH können sich die Angehörigen der Mitgliedstaaten, die auf Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat sind und tatsächlich Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, auf Art. 39 Abs. 2 EG berufen, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll.

3. Ist eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt des arbeitsuchenden Antragstellers glaubhaft gemacht, so sind ihm bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 durch einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.11.2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 2), 4) und 5) für das Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 30.11.2009 ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237).

2. Das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht einstweilen verpflichtet, den Antragstellern zu 2), 4) und 5) vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 23.10.2009 bis zum 30.11.2009 zu gewähren. Denn sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind hinreichend glaubhaft gemacht worden.

a) Ob dem Anspruch der Antragsteller zu 2), 4) und 5) der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden. Nach dieser Vorschrift besteht ein Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Zwar sind nach dem Wortlaut dieser Norm die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach summarischer Prüfung erfüllt. Denn die Antragsteller zu 2), 4) und 5) sind als portugiesische Staatsbürger Ausländer. Sie zählen als EU-Bürger zu den sogenannten. "Alt-Unionbürgern" (vgl. hierzu Husmann, NZS 2009, 652, 655 f.; ders., NZS 2009, 547 ff.; Brühl-Schoch in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rn. 22).

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für Alt-Unionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008, L 7 AS 3031/08 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009, B 34 AS 790/09 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 16.07.2008, L 19 B 111/08 AS ER; Schreiber info also 2008, 3 ff. und 2009, 195 ff.; Kunkel/Frey, ZFSH 2008, 387 ff.; Husmann, NZS 2009, 547 ff., 652 ff.; Hailbronner, ZFSH 2009, 195 ff.; Piepenstock, jurisPR-SozR, 23/09 Anm. 1; Daiber, VSSR 2009, 299, 311 ff.).

Diese Rechtsfrage lässt sich im Eilverfahren jedoch nicht abschließend klären. Eine Vorlagepflicht der deutschen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof, der für die Auslegung der hier in Betracht kommenden Art. 39 und 12 EGV zuständig ist, besteht indes nur für das Hauptsacheverfahren, nicht aber für das einstweilige Rechtsschutzverfahren, weil dies ...

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