Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Selbstmord. Unfallereignis. psychisches Trauma. haftungsausfüllende Kausalität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitsunfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung liegt vor, wenn jeweils in einem begrenzten maximal eine Arbeitsschicht umfassenden Zeitraum entweder von außen besondere den Rahmen alltäglicher Belastungen überschreitende und ihrer Art nach unersetzliche Einwirkungen auf den Versicherten körperlich und/oder psychisch einwirken oder die Verrichtung der versicherten Tätigkeit objektiv betrachtet mit besonderen nicht alltäglichen und damit ihrer Art nach unersetzlichen Belastungen verbunden ist und wenn hierdurch ein Gesundheitsschaden hervorgerufen wird.

2. Zur Frage, welchen objektiven Kriterien die Ereignisse während einer Arbeitsschicht genügen müssen, um als Arbeitsunfall in Form eines psychischen Traumas und damit als Ursache für einen nachfolgenden Suizidversuch des Versicherten in Betracht zu kommen.

 

Orientierungssatz

Ein Selbstmord(versuch) kann nur in den Fällen Entschädigungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung auslösen, in denen er sich als (rechtlich wesentliche) Folge eines vorausgegangenen Arbeitsunfalls darstellt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.12.1998; Aktenzeichen B 2 U 1/98 R)

 

Tatbestand

Der 1943 geborene Kläger macht Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß eines von ihm am 1. Oktober 1992 verübten Selbstmordversuches geltend.

Der Kläger war im Unfallzeitpunkt Geschäftsführer der H R GmbH und Co KG. Persönlich haftender Gesellschafter dieser Kommanditgesellschaft (KG) war die H R Beteiligungsgesellschaft mbH. Seit dem Tode des Vaters des Klägers waren Gesellschafter sowohl der KG als auch der GmbH nur noch der Kläger und seine Mutter, wobei letztere in beiden Gesellschaften über die Kapitalmehrheit verfügte. Die Mutter war auch Eigentümerin des einen Wert von etwa 1,4 Millionen DM ausmachenden Betriebsgebäudes in der H-straße sowie der Maschinen. Die KG hatte von ihr die Betriebsräume und die Anlagen gemietet bzw gepachtet.

Die KG befaßte sich mit der Herstellung von Nachthemden. Sie erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von etwa 1,7 Millionen DM. Die KG zahlte dem Kläger ein monatliches Gehalt von 5.000 DM netto zuzüglich der darauf zu entrichtenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

In Anbetracht der hohen Produktionskosten in Deutschland erwirtschaftete die KG in ihren letzten Jahren Verluste, zu deren Abdeckung Bankkredite aufgenommen werden mußten. Zur Sicherung dieser Kredite hatte die Mutter des Klägers Hypotheken auf dem Betriebsgebäude bestellt. Im Herbst 1992 betrugen diese Schulden etwa 300.000 DM, nachdem sie im Jahr zuvor um etwa 100.000 DM zugenommen hatten.

In Anbetracht dieser Situation beschlossen die Gesellschafter der KG am 22. September 1992 die Einstellung des Geschäftsbetriebes zum 31. März 1993, und zwar ungeachtet dessen, daß die noch vorhandenen 13 Mitarbeiter mit der Bearbeitung der bestehenden Aufträge ausgelastet waren. Dementsprechend rief der Kläger am 25. September 1992 seine Mitarbeiter zusammen und übergab ihnen jeweils Schreiben, mit denen die Kündigung zum 31. März 1993 ausgesprochen wurde.

Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die H R GmbH und Co KG nahm der Kläger auch die Geschäfte der von ihm gegründeten R GmbH und Co KG wahr, wobei der Kläger alleiniger Gesellschafter dieser KG und der R Verwaltungs GmbH als ihrer persönlich haftender Gesellschafterin war. Diese KG befaßte sich mit einem Großhandel von Nachthemden, die sie in der Türkei einkaufte. Insbesondere hatte diese KG im Herbst 1992 in der Türkei rd 2500 Nachthemden zu einem Gesamtpreis von rd 35.000 DM geordert. Dabei war mit dem Lieferanten vereinbart worden, daß dieser aus der Gesamtlieferung zunächst eine Stichprobe aussondern und vorab dem Käufer übersenden sollte. Bereits aus dieser einige Tage vor dem im vorliegenden Verfahren zu prüfenden Ereignis vom 1. Oktober 1992 eingegangenen Stichprobe konnte der Kläger entnehmen, daß die Lieferung erhebliche qualitative Mängel aufweisen würde. Bezahlt wurde die Lieferung gegen Konnossement, so daß die R GmbH und Co KG den Kaufpreis bereits vor Erhalt der endgültigen Lieferung erbracht hatte.

Bezüglich aller vier Gesellschaften hat die Beklagte den Kläger als Unternehmer versichert (vgl insbesondere den Mitgliedschein vom 10.09.1992).

Am 29. und 30. September 1992 nahmen sich einige Mitarbeiter des Klägers frei. Auch am 1. Oktober 1992 fehlten zwei Näherinnen. An diesem Morgen ging der Kläger wie üblich durch die Fabrikationsräume und begrüßte alle anwesenden Mitarbeiter.

Bei der Durchsicht der Post bemerkte der Kläger zwei Schreiben, mit denen die S H - wie zuvor beantragt - die Kreditlinien der H R GmbH und Co KG erhöhte. Ferner traf an diesem Vormittag die Lieferung der 2500 Nachthemden aus der Türkei für die R GmbH und Co KG ein. Die Hauptlieferung wies ebenso wie die vorab übersandte Stichprobe erhebliche qualitative Mängel auf.

Der Kläger wollte an diesem Vo...

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