Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1103. haftungsbegründende Kausalität. naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang. kumulative Chrom(VI)-Belastung von ca 500 µg/m3 x Jahre. Orientierungswert. Verdopplung des Erkrankungsrisikos. wesentliche Mitursache: hoher Nikotingenuss. Tabakrauch-Gesamtdosis von 20 Packungsjahren. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4109. Nickelexposition. keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse. Lungenkrebs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkungen iS der Berufskrankheit Nr 1103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung und einer Lungenkrebserkrankung ist regelmäßig eine kumulative Chrom(VI)-Belastung von ca 500 µg/m3 x Jahre (iS eines Orientierungswertes) erforderlich (Abgrenzung zu BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R = BSGE 123, 24 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1).

2. Zum Lungenkrebsrisiko bei Expositionen gegenüber Nickel und Nickelverbindungen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 21. Mai 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Berufungsverfahren steht noch die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1103 (Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen; BK Nr 1103) und Nr 4109 (Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen; BK Nr 4109) der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) im Streit.

Der 1958 geborene Kläger hat den Beruf des Schlossers erlernt und war für einige Jahre als Bau- bzw Betriebsschlosser beschäftigt. Von Mai 1985 bis Oktober 2000 war er als Schmelzer in einer Eisen- und Stahlgießerei tätig.

Im Rahmen einer arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung im September 2000 zeigte sich bei dem Kläger ein Rundherd im Bereich des rechten Lungenoberlappens. Aufgrund weiterer Untersuchungen wurde ein Bronchialkarzinom des rechten Oberlappens festgestellt (Bericht Prof. Dr. E. und F. vom 25. Oktober 2000). Es erfolgte eine operative Entfernung des Oberlappens (Lobektomie); die histologische Untersuchung ergab die Diagnose eines invasiv wachsenden, mittelgradig differenzierten broncho-alveolären Adenokarzinoms Stadium pT2 N0 M0 (Berichte von Prof. Dr. G. vom 23. November 2000 und Prof. Dr. H. ua vom 29. November 2000).

Der Stationsarzt F. zeigte der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft (BG) den Krankheitsfall als BK an und teilte dazu mit, dass der Kläger beruflichen Einwirkungen durch Schwermetalle, Schmelzdämpfe, Staub, Nickel und Magnesiumverbindungen ausgesetzt gewesen sei. Daraufhin zog die BG ärztliche Befundunterlagen bei, in denen ua ein Nikotinkonsum von ca 20 Packungsjahren vermerkt (Bericht Prof. Dr. E. und F. vom 25. Oktober 2000) bzw ausgeführt worden ist, dass der Kläger über mindestens zehn Jahre etwa 30 Zigaretten pro Tag geraucht habe (Bericht Prof. Dr. E. und PD Dr. I. vom 5. Dezember 2000).

Zur Aufklärung von Art und Umfang der beruflichen Belastungen des Klägers während seiner Tätigkeit als Schmelzer hat der Präventionsdienst der BG am 14. März 2001 eine Schadstoffmessung am Arbeitsplatz durchgeführt. Unter Zugrundelegung der Messergebnisse ist der Präventionsdienst zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im Zeitraum von Mai 1985 bis Oktober 2000 ua Einwirkungen durch Chrom-VI-Verbindungen mit einer kumulativen Belastungsdosis von 210 µg/m³ x Jahre sowie durch Nickel und seine Verbindungen mit einer kumulativen Belastungsdosis von 1.120 µg/m³ x Jahre ausgesetzt gewesen sei. Dabei hat der Präventionsdienst der Dosisberechnung für den Zeitraum bis Frühjahr 1997 - für den ihm keine Ergebnisse von Schadstoffmessungen aus dem Arbeitsbereich des Klägers vorgelegen haben - eine gegenüber den Messwerten um 50 % erhöhte Konzentration zugrunde gelegt und dazu ausgeführt, dass bei den seinerzeit betriebenen Öfen keine Absauganlage vorhanden und die Arbeitsplatzverhältnisse entsprechend ungünstiger gewesen seien (Stellungnahmen Dipl.-Ing. J. vom 15. Mai 2001, 19. Juni 2001, 31. Oktober 2001, 7. Februar 2002 und 27. September 2002).

Die BG holte ein pathologisches Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. L. ein, die weder eine BK nach Nr 4104 der Anl 1 zur BKV (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung ≪Asbestose≫ ua) noch eine BK Nr 1103 für wahrscheinlich hielten (Gutachten vom 4. Oktober und 20. Dezember 2001). Ferner erstattete der Arbeitsmediziner Prof. Dr. Dr. M. ein Gutachten, in dem er zu der Einschätzung kam, dass die inhalativen Rauchgewohnheiten des Klägers als wesentlicher Faktor für die Verursachung des Bronchialkarzinoms anzusehen seien. Demgegenüber seien berufliche Faktoren - insbesondere die Exposition gegenüber Chrom-VI-Verbindungen, Nickel und seine Verbindungen und polyzyklische aromatische Kohlenstoffe (PAK) - nicht mit Wahrscheinlich...

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