Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. örtliche Zuständigkeit für stationäre Leistungen. gewöhnlicher Aufenthalt vor Aufnahme in die Einrichtung. Ausschluss des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 109 BSHG bzw § 109 SGB 12 nur bei vollstationären Einrichtungen. Anforderungen an das Vorliegen einer vollstationären Einrichtung

 

Orientierungssatz

1. Ein Hilfeempfänger, der einen Förderlehrgang mit angeschlossenem Internat besucht und keine dauerhaften Beziehungen zu einem anderen Ort aufrechterhält, unterhält seine wesentlichen Lebensbeziehungen am Ort des Förderlehrgangs und begründet dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt.

2. Der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts am Ort des Förderlehrgangs stehen die §§ 109 BSHG bzw 109 SGB 12 so lange nicht entgegen, wie der Hilfeempfänger nicht in einer vollstationären Einrichtung iS der §§ 97 Abs 2 BSHG bzw 98 Abs 2 SGB 12 untergebracht ist.

3. Die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung setzt voraus, dass der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu seiner Entlassung nach Maßgabe des angewandten Konzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers übernimmt und der Hilfeempfänger sich dort bei Tag und bei Nacht aufhält. Stundenweise Abwesenheitszeiten beeinträchtigen den Charakter eines Vollaufenthalts nicht, wenn sie sinnvoll und zweckgerichtet in einen Gesamtplan eingebunden sind.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.08.2013; Aktenzeichen B 8 SO 14/12 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 15. Januar 2009 insoweit aufgehoben, als es den Beklagten zur Zahlung von Zinsen verurteilt hat.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 67.927,10 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Sozialhilfeleistungen, die der Kläger seit dem 19. März 2004 für die stationäre Unterbringung eines Hilfeempfängers aufgewendet hat.

Der 1984 geborene Hilfeempfänger leidet an einer Hämophilie A (Bluterkrankheit), einem zerebralen Anfallsleiden sowie an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit Lernbehinderung/geistiger Behinderung.

In der Zeit vom 14. August 2003 bis zum 19. März 2004 besuchte der Hilfeempfänger einen Förderlehrgang mit angeschlossenem Internat im C. Jugenddorf B. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Bei diesem Lehrgang handelte es sich um eine berufsvorbereitende Maßnahme, die von der Bundesagentur für Arbeit als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff SGB III i. V. m. § 33 und §§ 44 ff SGB IX finanziert wurde. Da der Hilfeempfänger an jedem zweiten Wochenende sowie während der Ferienzeiten nicht im C. wohnen konnte und auch über keinen Wohnsitz außerhalb des C. verfügte, wurde er für diese Zeiten durch das Jugendamt des Klägers in einem Kleinstheim im nördlichen E. untergebracht. Nach Auskunft des C. im Schreiben vom 3. September 2004 verbrachte der Hilfeempfänger die sogenannten Heimfahrtwochenenden sowie die Ferienzeiten jedoch nach Kräften und Möglichkeiten bei Freunden, Bekannten und Verwandten. Auch der Hilfeempfänger bestätigte in einer schriftlichen Aussage vom 3. März 2004, dass er sich an den Heimfahrtwochenenden sowie während der Ferienzeiten an ständig wechselnden Orten aufgehalten habe, zeitweise bei seiner Tante in A., bei seiner Mutter in B. oder bei verschiedenen Freunden.

Mit Schreiben vom 12. November 2003 beantragte der Hilfeempfänger bei dem Kläger die Übernahme der Kosten für eine stationäre Heimunterbringung, da der Förderlehrgang im C. seinem Hilfebedarf nicht gerecht werde. Am 19. März 2004 beendete der Hilfeempfänger den Förderlehrgang im C. vorzeitig und wechselte in die vollstationäre Unterbringung im Jugendheim der J. GmbH in S. im Landkreis E. Mit Schreiben vom 10. März 2004 übersandte der Kläger dem Beklagten zuständigkeitshalber den Antrag auf Kostenübernahme für die stationäre Unterbringung des Hilfeempfängers im Jugendheim der J. Zur Begründung führte er aus, dass der Hilfeempfänger bis zum 1. Juli 2002 in einem Heim untergebracht gewesen sei. Anschließend habe er bis zum 13. Juli 2003 bei seinem Vater in F. im Zuständigkeitsbereich des Klägers gelebt. Dieser habe den Hilfeempfänger am 13. Juli 2003 nach Aussage des Hilfeempfängers in die Obdachlosigkeit entlassen. Eine Rückkehr zum Vater sei nicht möglich gewesen. Der Hilfeempfänger habe sich dann in der Zeit vom 14. Juli 2003 bis zu Beginn des Förderlehrgangs im C. am 14. August 2003 bei seiner Tante in F. aufgehalten. Da der Hilfeempfänger nach dem Auszug bei seinem Vater angegeben habe, dort nicht mehr wohnen zu können, habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Klägers aufgegeben. Bei dem C. Jugenddorf in St. handele es sich nicht um eine Einrichtung im Sinne des § 97 Abs 4 BSHG. Dies folge schon daraus, dass das Jugenddorf an den Wochenenden sowie in den Ferienzeiten geschlossen sei. Der Hilfeempf...

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