Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Vergütung stationärer Pflegeeinrichtungen. Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten im Schiedsverfahren. Sachverhaltsklärung. Aufklärungs- und Ermittlungspflicht der Schiedsstelle. Mitwirkungs- und Nachweispflicht der Pflegeeinrichtung

 

Orientierungssatz

1. Zum Streit über einen Schiedsspruch zur Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten für ein Alten- und Pflegezentrum.

2. Zur Aufklärungs- und Ermittlungspflicht der Schiedsstelle bezogen auf die in § 85 Abs 3 SGB 11 als für Pflegesatzvereinbarungen maßgeblich vorgeschriebenen Sachverhalte - hier: Mangel an einer plausiblen Darlegung der voraussichtlichen (prospektiven) Personal- und Sachkosten.

3. Zur Mitwirkungs- und Nachweispflicht der Pflegeeinrichtung, dass ihre Vergütungsforderung auf einer plausiblen Kalkulation der voraussichtlichen Gestehungskosten beruht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.04.2023; Aktenzeichen B 3 P 2/22 R)

 

Tenor

Der Schiedsspruch der Beklagten vom 29. September 2019 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten für die Einrichtung J. für den Zeitraum 1. April 2019 bis 31. März 2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 93.283,05 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Schiedsspruch der Beklagten, mit dem diese für den Zeitraum vom 1.4.2019 bis 31.3.2020 Pflegesätze und Entgelte für die Pflegeeinrichtung der Klägerin festgesetzt hat.

Die Klägerin ist Trägerin des Alten- und Pflegezentrums K. Die Einrichtung, in der 25 Plätze in Einzel- und 32 Plätze in Doppelzimmern vorgehalten werden, ist laut Versorgungsvertrag für 57 vollstationäre Pflegeplätze zugelassen. Zuletzt hatte die Klägerin mit den Beigeladenen am 28.2.2018 eine auf Kostenkalkulationen des Jahres 2017 basierende Pflegesatzvereinbarung für die Zeit vom 1.3.2018 bis 28.2.2019 geschlossen, nach der sie zuletzt die folgenden Pflegesätze und Entgelte erhielt:

Pflegegrad 1 27,30 €

Pflegegrad 2 35,00 €

Pflegegrad 3 51,17 €

Pflegegrad 4 68,03 €

Pflegegrad 5 75,60 €

Unterkunft 13,53 €

Verpflegung 4,94 €

Mit Schreiben vom 13.2.2019 forderte die Klägerin die Beigeladenen unter Beifügung einer Pflegesatzkalkulation mit Angaben zu den prospektiven Gestehungskosten sowie einer Stellungnahme der Bewohnervertretung (vom 27.2.2019) zu Pflegesatzverhandlungen für die Zeit vom 1.4.2019 bis zum 31.3.2020 auf. Die zukünftigen Personalkosten wurden auf 1.132.511,00 €, die Sachkosten auf 628.408,00 € beziffert. Kalkuliert werde mit einer Auslastung der Pflegeplätze von 98 % bei gleichbleibender Stellenbesetzung. Seinerzeit waren in der Einrichtung neben der Heimleitung, der Verwaltung, der Pflegedienstleitung, einem Qualitätsbeauftragten und drei Auszubildenden in der Pflege 20,61 Vollzeitkräfte (VK) beschäftigt. Hierunter befanden sich drei als examinierte Altenpfleger/-innen tätige Leiharbeits- bzw. Leasingkräfte (2,94 VK). Für diese fielen wegen des an den Personaldienstleister (L.) zu zahlenden Stundensatzes von 42,00 € (zzgl. Zuschlägen für Nacht- bzw. Wochenendarbeit) erhöhte Personalkosten an (im Entgeltzeitraum je VK 101.978,00 €, anstatt ca. 45.780,00 € für jede der drei angestellten Pfleger/-innen), von denen die Klägerin allerdings nur 2,0 VK in die Kalkulation einbrachte.

Nachdem die Beigeladene zu 2 von der Klägerin per E-Mail vom 27.3.2019 unter Hinweis auf aktuelle Handlungsempfehlungen der niedersächsischen Pflegesatzkommission Nachweise für an die Beschäftigten ausgezahlte Entgelte, möglichst in Form einer anonymisierten, zu verifizierenden Personalkostenliste für das Jahr 2018 (inkl. Angaben zu Stellenumfang, Qualifikation, Personalnummer und Eintrittsdatum), angefordert hatte, aus der sodann für ca. zehn Personen Nachweise für 2018 gezahlte Löhne zu erbringen seien (z. B. in Form eines Jahreslohnkontos/- journals oder der Gehaltsabrechnung Dezember mit Jahressumme), beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 29.3.2019 die Einleitung eines Schiedsstellenverfahrens.

Zur Begründung der von ihr geforderten Erhöhung der Pflegesätze und Entgelte vertrat sie die Auffassung, die aus den Personalkosten für den Monat November 2018 entwickelten und auf das Jahr 2019/2020 hochgerechneten Angaben zu den prospektiven Gestehungskosten hinreichend plausibel dargestellt zu haben. Als Lohnerhöhung für den neu zu vergütenden Zeitraum habe sie in Anlehnung an die gängigen aktuellen Tariferhöhungen pauschal 5 % angesetzt. Die Sachkosten habe sie aus den Daten der laufenden Finanzbuchhaltung per 30.11.2018 entwickelt und hochgerechnet, über die Variatormethode an die Kalkulationsauslastung angepasst und mit einer üblichen Preissteigerungsrate von 2,5 % versehen. Eine angemessene Vergütung des unternehmerischen Risikos gem. § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI w...

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