Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinterbliebenenrente. Kürzung. Zugangsfaktor. wiederaufgelebte Witwenrente. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der in § 77 Abs 2 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB 6 (Absenkung des Zugangsfaktor nur für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer - früheren - Rente waren) enthaltene Grundsatz, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die bereits Grundlage einer früheren Rente waren unverändert bei späteren Renten anzuwenden ist, ist einschränkend auszulegen. Der Grundsatz soll lediglich den nahtlosen Übergang von der einen in die andere Rente erfassen. Für diese einschränkende Auslegung sprechen die in den §§ 88 und 300 SGB 6 enthaltenen Regelungen.

2. Die Absenkung des Zugangsfaktors auf Hinterbliebenenrenten - hier bei einer wiederaufgelebten Witwenrente bei der der Versicherte 1995 verstarb - verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 GG.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte berechtigt war, die der Klägerin gewährte, wiederaufgelebte Witwenrente (nach dem vorletzten Ehegatten) mit Abschlägen zu versehen.

Die am 8. November 1968 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem am 5. Dezember 1960 geborenen I. (im Folgenden: Versicherter) verheiratet (Heiratsdatum: 22. Oktober 1991). Aus der Ehe gingen die beiden Kinder J. (geb. am 23.01.1992) und K. (geb. am 14.06.1993) hervor. Am 9. Dezember 1995 verstarb der Versicherte.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 1996 gewährte die Beklagte der Klägerin für die Zeit ab dem Todestag Große Witwenrente (Zahlbetrag ab Februar 1997 monatlich 375,61 DM).

Am 20. März 1997 heiratete die Klägerin erneut (Herrn L.; im Folgenden: zweiter Ehemann). Anlässlich der Wiederheirat wurde die Große Witwenrente mit dem 24-fachen Monatsbetrag abgefunden (Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 1997, Auszahlungsbetrag 9.352,07 DM). Der zweite Ehemann verstarb am 28. April 2001. Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des zweiten Ehemannes erhielt die Klägerin nicht. Dessen Versicherungskonto wies nämlich lediglich 53 Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten auf.

Am 22. Mai 2001 stellte die Klägerin den zum vorliegenden Verfahren führenden Antrag auf Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten (hier nach dem Versicherten). Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit dem Bescheid vom 28. September 2001 für die Zeit ab dem 1. Mai 2001. Bei der Berechnung der Rentenhöhe wandte die Beklagte das ab dem 1. Januar 2001 geltende Recht an, wonach die Regelungen über die Absenkung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Altersrenten auf Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten erstreckt worden waren. Übergangsrechtlich ergab sich im Falle der Klägerin ein um 5mal 0,003 = 0,015 geminderter Zugangsfaktor, also 0,985 statt 1,000. Den dagegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 21. August 2002 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 2. September 2002 zugestellt.

Dagegen hat die Klägerin am 25. September 2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Stade erhoben. Sie hat vorgetragen, der Gesetzgeber habe die Hinterbliebenenrenten in einer gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) verstoßenden Weise den Altersrenten gleichgestellt. Während es die Versicherten nämlich bei den Altersrenten weitestgehend selbst in der Hand hätten, das Renteneintrittsalter und damit das Entstehen von Abschlägen zu bestimmen, sei dies bei den Hinterbliebenenrenten, die allein an den Tod des Versicherten und den damit verbundenen Unterhaltsausfall anknüpften, von vornherein ausgeschlossen.

Das SG hat die Klage durch sein Urteil vom 14. Oktober 2003 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, bereits aus fiskalischen Gründen sei es gerechtfertigt, die Absenkung des Zugangsfaktors auch auf die Hinterbliebenenrenten zu erstrecken. Es komme lediglich darauf an, dass eine längere Bezugszeit die Rentenkassen stärker belaste. Ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschehe, sei unerheblich. Das SG hat die Sprungrevision nicht zugelassen.

Dagegen richtet sich die Klägerin mit ihrer am 10. November 2003 eingegangenen Berufung. Zu deren Begründung trägt sie zunächst vor, sie genieße Vertrauensschutz wegen der von Dezember 1995 bis März 1997 erfolgten erstmaligen Zahlung der Hinterbliebenenrente. Beim Wiederaufleben müsse der bisherige Zugangsfaktor weiterhin maßgebend bleiben. Abgesehen davon müsse angenommen werden, dass die Erstreckung der Rentenabschläge auf Hinterbliebenenrenten gegen die Vorgaben der Verfassung verstoße. Die Ausdehnung der Abschläge auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sei mit dem Argument zu rechtfertigen, Ausweichreaktionen vorzubeugen. Dieser Gesichtspunkt fehle bei den Hinterbliebenenrenten von vornherein. Abgesehen davon stehe eine Witwe wie die Klägerin im Verhältnis zu derjenigen Gruppe der (älteren) Bezieher einer Hinterbliebenenrente schlechter, bei der der ver...

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