Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Überprüfungsantrag. Prüfungsumfang. Analogleistung. Überleitung eines Auszahlungsanspruchs gegen die kontoführende Bank nach § 93 SGB 12. hinreichende Bestimmtheit der Überleitungsanzeige. Überleitungsfähigkeit des Anspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist eine inhaltliche Prüfung eröffnet, haben Verwaltung und Gerichte im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers zu prüfen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde (Anschluss an BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 24/05 R = BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18).

2. Zur hinreichenden Bestimmtheit einer Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII.

3. Eine Überleitung eines Anspruchs nach § 93 Abs 1 S 1 SGB XII ist ausgeschlossen, wenn dieser von dem um Leistungen Nachsuchenden ohne weiteres realisierbar ist, ihm also als sog bereites Mittel zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs zur Verfügung steht.

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger zu 1 und 2 wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 27. Oktober 2016 geändert, soweit deren Klagen mit der entsprechenden Kostenfolge abgewiesen worden sind.

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2015 verpflichtet, die Überleitungsanzeigen vom 27. Oktober 2014 aufzuheben.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1 und 2 für beide Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit von Überleitungsanzeigen nach § 93 SGB XII betreffend einen Auszahlungsanspruch von einem Postsparkonto gegen die beigeladene Rechtsnachfolgerin der kontoführenden Bank in Höhe von 57.018,50 €.

Die 1956 und 1968 geborenen und miteinander verheirateten Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern der 1996 bis 2004 geborenen Kläger zu 3 bis 7. Sie sind algerische Staatsangehörige und 1999 nach Deutschland eingereist. Während ihres Asylverfahrens (bis April 2003) und im Anschluss als Inhaber von Duldungen bzw. Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG bezogen sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Kindergeld und vom beklagten Landkreis Leistungen nach dem AsylbLG, die sich für die klägerische Familie bis zum Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem AsylbLG mit Ablauf des Februar 2015 auf insgesamt etwa 182.000,00 € beliefen. Die Leistungen in einer Größenordnung von etwa 1.000,00 € bis 1.200,00 € monatlich wurden zuletzt für Oktober 2014 bis Februar 2015 jeweils am Monatsanfang bewilligt durch Bescheide des Beklagten vom 2.10., 3.11. und 3.12.2014 sowie vom 2.1. und 2.2.2015.

Im März 2011 eröffneten die Kläger zu 1 und 2 bei der Postbank, die 2018 mit der im Berufungsverfahren beigeladenen Bank (Beiladungsbeschluss vom 16.5.2019) fusionierte, ein Postsparkonto mit einer Ersteinlage von 30.000,00 €. Bis Ende 2011 folgten weitere Einzahlungen in Höhe von insgesamt 19.000,00 € und bis Ende 2012 diverse Ein- und Auszahlungen in einer Größenordnung von bis zu 2.700,00 €. Nach Auflösung des Kontos eröffneten die Kläger zu 1 und 2 im Januar 2013 ein neues Postsparkonto (IBAN: L.) und zahlten bis März 2013 insgesamt 70.000,00 € ein. Nach einer Abhebung von 60.000,00 € und Einzahlungen von insgesamt 50.000,00 € von April bis Juli 2013 wies das Konto ein Guthaben von etwa 60.000,00 € auf (im Oktober 2014 von 60.000,50 €).

Nachdem der Beklagte im September 2014 aufgrund eines automatisierten Datenabgleichs Kenntnis von dem Sparguthaben der Kläger zu 1 und 2 erlangt hatte, leitete er deren „Ansprüche aus dem Postsparbuch“ gegen die Postsparbank nach Anhörung durch jeweils an die Kläger zu 1 und 2 und die Postsparbank gerichtete Überleitungsanzeigen vom 27.10.2014 bis auf einen Betrag von 2.982,00 € (Schonvermögen) auf sich über und bewirkte im April 2015 die Auszahlung eines Betrags von 57.018,50 €.

Am 15.8.2015 beantragten die Kläger beim Beklagten die Überprüfung der Überleitungsanzeigen mit der Begründung, die Freibeträge insbesondere der Kinder seien nicht angemessen berücksichtigt worden. Zudem stelle die Rückforderung eine besondere Härte dar, weil die Kläger den Betrag während des Leistungsbezugs nach dem AsylbLG selbst angespart hätten. Den Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 8.9.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.9.2015).

Die hiergegen am 15.10.2015 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade durch Urteil vom 27.10.2016 abgewiesen und u.a. zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Überleitung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 93 SGB XII vorlägen und die Überleitungsanzeigen nicht gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen seien. Insbesondere stelle die Verwertung des Vermögens für die Kläger keine Härte i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 90 Abs. 3 SGB XII dar, auch wenn der angesparte Betrag für die Ausbildung der Kinder bestimmt gewesen sein sollte.

Gegen das am 22.11.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.12.2016 eingelegte Berufung der ...

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