Leitsatz (amtlich)

1. Mit der Vorlage eines Kassenrezeptes durch einen gesetzlich Versicherten bzw. dessen Beauftragten an einen Apotheker und der Aushändigung des Medikaments durch den Apotheker kommt ein Kaufvertrag zwischen dem Apotheker und der Krankenkasse des Versicherten zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung zustande.

2. Verletzt ein Apotheker schuldhaft seine Pflichten aus § 4 Niedersächsischer Arznei-Liefervertrag zur Prüfung eines Rezeptes auf eine mögliche Fälschung, ist er gegenüber der zuständigen Krankenkasse zum Schadensersatz aus Positiver Vertragsverletzung verpflichtet.

3. Die ärztliche Unterschrift auf einem maschinell erstellten Rezept deckt grundsätzlich lediglich die Verordnung an sich ab. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 3 Niedersächsischer Arznei-Liefervertrag darf ein Apotheker ein maschinell erstelltes Rezept mit handschriftlicher Mengenänderung nur einlösen, wenn die Mengenänderung durch eine weitere Unterschrift des verordnenden Arztes nebst Datum bestätigt worden ist.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. Juni 2005 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin insgesamt 175.479,92 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2001 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft Schadensersatzansprüche einer gesetzlichen Krankenkasse gegen einen Apotheker wegen der Abgabe von INTRON A PEN 30 MIO ILO 8 ST N2 (im Folgenden INTRON A) aufgrund gefälschter Rezepte.

Der bei der Klägerin versicherte E. (im Folgenden: Versicherter) ist HIV-positiv. In der streitbefangenen Zeit wurde er von dem Arzt Dr. F. ohne Verwendung des Medikaments INTRON A mit einer dreifachen Kombinationstherapie behandelt. Der Versicherte benötigte INTRON A also nicht.

Erstmals am 14. Oktober 1999 suchte er den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. in H. auf. Der Versicherte gab an, dass er im Charité Universitätsklinikum in Berlin behandelt werde und legte ein gefälschtes Schreiben einer Ärztin Dr. I., Charité Universitätsklinikum in Berlin, vom 1. August 2000 vor, wonach er seit 1990 HIV-positiv sei und mit dem Medikament INTRON A behandelt werde. Dr. G. verließ sich auf diese Angaben, untersuchte den Versicherten nicht selbst und stellte ihm am 14. Oktober 1999 ein Kassenrezept auf INTRON A aus.

Der Versicherte übergab das Rezept seinem Bekannten J.. J. fälschte das Rezept, indem er mit Kugelschreiber vor “INTRON A„ den Zusatz “4x„ einfügte. In der K. -Apotheke in Hannover legte er das gefälschte Rezept vor und erhielt auf das gefälschte Rezept 4x das Medikament INTRON A. Die Kosten hierfür betrugen 24.514,92 DM (also 4x den Preis einer Einzelpackung INTRON A á 6.128,73 DM).

J. gelang es, das Medikament an die Großhandelsfirma L. Pharma Handel AG & Co. zu verkaufen, weil er es zu einem niedrigeren Preis als handelsüblich anbot. Die Firma L. Pharma Handel AG & Co. nahm das Medikament in ihren Bestand ohne Rücksicht darauf, dass es kühlkettenpflichtig ist und ohne die Einhaltung der Kühlkette geprüft zu haben.

Dieser Vorgang wiederholte sich. J. löste in der K. -Apotheke gefälschte Rezepte von Dr. G. vom 28. Oktober 1999, 11. November 1999, 23. November 1999, 9. Dezember 1999, 6. Januar 2000, 17. Januar 2000, 1. Februar 2000, 17. Februar 2000, 2. März 2000, 16. März 2000, 30. März 2000, 13. April 2000 und 18. April 2000 ein. Am 14. Dezember 1999 löste er ein ungefälschtes Rezept von Dr. G. ein. Die K. -Apotheke rechnete insgesamt einen Betrag von 349.337,61 DM gegenüber der Klägerin ab, die diesen Betrag auch bezahlte.

Der Beklagte behauptet, dass der Inhaber der K. -Apotheke nach Vorlage des Rezeptes vom 18. April 2000 Rücksprache mit Dr. G. gehalten und die Klägerin mit Schreiben vom 9. Mai 2000 entsprechend informiert und ihr mitgeteilt habe, dass er ein auf den Versicherten ausgestelltes Rezept über INTRON A wegen des Verdachts auf eine Unregelmäßigkeit nicht mehr eingelöst habe.

Ab Mai 2000 löste J. die von ihm gefälschten Rezepte von Dr. G. für den Versicherten bei der M. -Apotheke in Hannover ein. Inhaber der M. -Apotheke ist der Beklagte. Er war Mitglied des Landesapothekerverbandes Niedersachsen.

Es handelte sich um die Rezepte vom 22. Mai 2000, 30. Mai 2000, 8. Juni 2000 (2 Rezepte), 6. Juli 2000, 20. Juli 2000, 4. August 2000, 17. August 2000, 29. August 2000, 12. September 2000, 26. September 2000, 10. Oktober 2000, 24. Oktober 2000 und 21. November 2000. Der Gesamtpreis betrug 343.208,88 DM. Der Beklagte rechnete diesen Betrag gegenüber der Klägerin ab, die ihn auszahlte.

Nachdem sich eine Regelmäßigkeit bei der Rezepteinlösung eingestellt hatte, handelte der Beklagte mit der Firma L. Pharma Handel AG & Co. Rabatte in Höhe von 252,94 DM pro Packung N2 aus.

Im November 2000 teilte die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen Dr. G. im Wege des sog. Mailing-Systems m...

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