Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Leistungsberechtigter. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität. Anspruchseinschränkung. selbst zu vertretende Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. ernsthaftes Bestreben der Ausländerbehörde zur Rückführung des Betroffenen in sein Heimatland. Möglichkeit einer Ausbildungsduldung bzw der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Falle der Identitätsklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Inhaber einer Duldung nach § 60b AufenthG (juris: AufenthG 2004) sind leistungsberechtigt nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG (vgl LSG Celle-Bremen vom 9.7.2020 - L 8 AY 52/20 B ER = juris RdNr 22).

2. § 1a Abs 3 S 1 AsylbLG setzt ein ernsthaftes Bestreben der Ausländerbehörde voraus, den Betroffenen in sein Heimatland zurückzuführen (vgl BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R = BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 18 mwN). Dieses Erfordernis liegt im Einzelfall nicht vor bei einer im Falle der eindeutigen Identitätsklärung möglichen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG oder § 18a AufenthG bzw einer Ausbildungsduldung aufgrund einer in Deutschland während des Asylverfahrens abgeschlossenen Ausbildung.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 25. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Im Streit ist Eilrechtsschutz wegen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für die Zeit von Anfang Dezember 2020 bis Anfang März 2021.

Die nach eigenen Angaben 1998 geborene Antragstellerin reiste nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Russland (Moskau) im Mai 2015 (zusammen mit ihrer Mutter) nach Deutschland ein und gibt sich als armenische Volkszugehörige ungeklärter Staatsangehörigkeit aus der Ukraine aus. Sie und ihre Mutter seien wegen kriegerischer Auseinandersetzungen aus der Region Luhansk geflohen, in der sie mit (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnissen gelebt hätten. Ihre Mutter habe nur einen sowjetischen Pass besessen, den sie bei der Einreise nach Deutschland Schleusern überlassen habe. Die unmittelbar nach Einreise gestellten Asylanträge - während des Asylverfahrens waren die Antragstellerin und ihre Mutter der (seit 2017) im Kreisgebiet des Antragsgegners gelegenen Samtgemeinde F. zugewiesen - wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unter Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation abgelehnt (Bescheid vom 16.12.2016). Die hiergegen beim Verwaltungsgericht (VG) Göttingen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil vom 7.5.2019 - 4 A 153/18 -), weil die Antragstellerin und ihre Mutter weder vor dem Verlassen der Ukraine und der Russischen Föderation einer für das Verfahren relevanten Verfolgung bzw. Betroffenheit ausgesetzt gewesen seien noch eine solche Verfolgung bzw. Betroffenheit bei einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätten. Das Gericht hatte auch keinen Zweifel an der im Asylverfahren angegebenen russischen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin und ihrer Mutter. Seit Abschluss des Asylverfahrens verfügt die Antragstellerin über eine Duldung, seit Ende 2019 wegen ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG.

Der Antragsgegner (Ausländeramt) forderte die Antragstellerin und ihre Mutter mehrmals zur Passbeschaffung und zur Vorlage von Identitätsnachweisen - z.B. von Geburtsurkunden, einer Kopie des sowjetischen Inlandspasses oder der Heiratsurkunde der Mutter - auf (u.a. im Juni, August und November 2019 sowie im Oktober 2020). Nachdem die Antragstellerin während des Asylverfahrens die BBS II in G. (Berufsfachschule - Pflegeassistenz) besucht und dort als Klassenbeste den Erweiterten Sekundarabschluss I sowie einen Abschluss zur staatlich geprüften Pflegeassistenten erworben hatte, beantragte sie beim Antragsgegner eine Duldung nach § 60c AufenthG, um eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin bei der Universitätsmedizin H. fortführen zu können. Einen in diesem Zusammenhang Ende 2019 gestellten Eilantrag lehnte das VG Göttingen u.a. mit der Begründung ab, dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen stehe die bislang unzureichende Mitwirkung der Antragstellerin an der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers entgegen. Auf die Aufforderungen des Antragsgegners (Ausländeramt) zur Mitwirkung könne sie sich nicht schlicht darauf zurückziehen, ihre Staatsangehörigkeit sei ungeklärt, sondern müsse sich ernsthaft bemühen, diese aufzuklären. Die nicht belegte Behauptung, in Berlin erfolglos die russische, armenische und die ukrainische Botschaft aufgesucht zu haben, genüge insoweit nicht. Das Gericht habe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es der Antragstellerin nicht möglich sei, bei ernsthaften Bemühungen Passersatzpapiere, jedenfalls aber einen Identitätsnachweis zu beschaffen bzw. eine endgültige Ablehnung der zuständigen Behörden nachzuweisen. Den A...

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