Entscheidungsstichwort (Thema)

Absenkung des Arbeitslosengeldes II. Weigerung der Ausführung einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit. Rechtsnatur des Arbeitsangebotes. Bestimmtheit. falsche Rechtsfolgenbelehrung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es bleibt offen, ob es sich bei der Heranziehung zur Ableistung von im öffentlichen Interesse liegenden zusätzlichen Arbeiten gemäß § 16 Abs 3 S 2 SGB 2 um einen Verwaltungsakt handelt.

2. In jedem Fall muss die Heranziehung bestimmt genug sein. Das Angebot muss die Arbeitsgelegenheit genau bezeichnen; die Art der Arbeit, ihr zeitlicher Umfang und ihre zeitliche Verteilung sowie die Höhe der angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen ist im Einzelnen zu bestimmen (vgl die Rechtsprechung des BVerwG zum Bestimmtheitserfordernis nach §§ 18, 19 BSHG - Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit).

3. Eine falsche Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit (hier für einen über 25-Jährigen eine solche nach § 31 Abs 5 SGB 2) ist nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 31 SGB 2 herbeizuführen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 17. November 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat auch die zweitinstanzlich angefallenen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

 

Gründe

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Stade vom 17. November 2005 ist nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. September 2005 anzuordnen war. Denn die Aufforderung nach § 16 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten auszuführen, war mit der falschen Rechtsfolgenbelehrung versehen. Weiterhin war die Aufforderung vom 29. August 2005 nicht hinreichend bestimmt genug.

Der im November 1947 geborene Antragsteller stand im Leistungsbezug nach dem SGB II. Mit der Verfügung vom 29. August 2005 wurde der Antragsteller vom Antragsgegner darüber unterrichtet, dass ihm Gelegenheit zu einer im öffentlichen Interesse liegenden und zusätzlichen Arbeit gegeben werde; am 6. September 2005 um 13.30 Uhr möge er sich bei einer Beschäftigungsstelle zwecks Arbeitsaufnahme einfinden. Mitgeteilt war weiterhin der Name des Ansprechpartners mit Telefonnummer, die Hausanschrift und eine Tätigkeitsbezeichnung (Unterstützung behinderter Menschen bei Lagerarbeiten, der Instandhaltung des Werkgrundstücks sowie der Umsetzung einzelner Arbeitsschritte - zB Montage und Verpackung). Der Verfügung war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, die dahin lautete, dass der Antragsteller mit einer Absenkung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) rechnen müsse, sofern er das Angebot nicht wahrnehmen sollte. In diesem Falle werde die Hilfe auf der Grundlage des § 31 Abs 1 Nr 1b, Abs 5 SGB II ab 1. Oktober 2005 auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den Bestimmungen des § 22 SGB II beschränkt (neben sämtlichen Geldleistungen fällt somit ua gegebenenfalls auch der innerhalb von zwei Jahren nach dem Bezug von Arbeitslosengeld zu zahlende Zuschlag fort). Die Zahlung der für die Wohnung angemessenen Kosten erfolge direkt an den Empfangsberechtigten.

Die Beschäftigungsstelle - E. - teilte mit, dass der Antragsteller mit einer deutlich wahrnehmbaren Alkoholfahne in der Einrichtung erschienen sei. Er habe immer wieder darauf hingewiesen, dass er gezwungener Weise zu einem Gespräch gekommen sei. Falls ihm eine Arbeit zugeteilt würde, würde er sie nur mit sehr schlechter Laune ausführen. Der Antragsgegner kürzte daraufhin mit Änderungsbescheid vom 30. September 2005 die Leistungen nach dem SGB II ab dem Monat November 2005 für insgesamt drei Monate um 30 %. Dagegen richtet sich der bislang nicht beschiedene Widerspruch des Antragstellers.

Bei dieser Sachlage hat das SG zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Änderungsbescheid vom 30. September 2005 angeordnet, weil die Kürzung durch den Änderungsbescheid rechtswidrig ist.

Der Antragsteller ist gemäß § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II zur Ableistung für im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten herangezogen worden. Ob dies durch Verwaltungsakt zu geschehen hat, kann für diese Entscheidung dahinstehen. Für die vergleichbare Regelung in §§ 18 Abs 2, 19 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass die Heranziehung zur Ableistung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit durch Verwaltungsakt zu regeln ist (vgl BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1983 - 5 C 66/82 - BVerwGE 68, Seite 97 = FEVS 33, Seite 45). Der Grund wird darin gesehen, dass die Nichtbefolgung der Heranziehung unmittelbar zum Verlust des Anspruchs auf Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - nach § 25 Abs 1 BSHG geführt hat. Die Heranziehung bewirkte mithin eine unmittelb...

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