Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufschiebende Wirkung der Klage. Arzneimittelregreß. vorläufiger Rechtsschutz. Verurteilung des Beigeladenen (hier: Kassenärztliche Vereinigung). Erfolgsaussicht. Hauptsacheverfahren. Praxisschließung. Zahlungsunfähigkeit. öffentliches Interesse

 

Orientierungssatz

1. Die über § 97 SGG vermittelte aufschiebende Wirkung der Klage bzw die über diese Norm erreichbare Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes schließt nur einen Eingriff in bestehende rechtlich geschützte Positionen vorläufig aus.

2. Ein Regreß wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneien greift nicht in eine geschützte Rechtsposition des Vertragsarztes ein. In derartigen Fällen kann vorläufiger Rechtsschutz nur über § 123 VwGO vermittelt werden (vgl LSG Celle vom 4.7.1996 - L 5 Ka 26/96 eR = Breith 1997, 369).

3. § 75 Abs 5 SGG ist auf Kassenärztliche Vereinigungen analog anwendbar.

4. Sind die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens als offen anzusehen, kann eine mehr oder weniger hohe Wahrscheinlichkeit für das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens nicht zur Grundlage der Entscheidung nach § 123 Abs 1 VwGO gemacht werden (vgl BVerwG vom 5.2.1976 - VII A 1.76 = NJW 1976, 1113).

5. Droht einem Vertragsarzt wegen des akut drohenden Eintritts der Zahlungsunfähigkeit die Schließung seiner Praxis, erleidet er einen Schaden, der im Falle des Obsiegens in der Hauptsache nicht mehr ausgeglichen werden könnte. Demgegenüber haben die öffentlichen Interessen zunächst zurückzustehen.

 

Tatbestand

Die Antragstellerin ist als Gynäkologin in niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Der Prüfungsausschuß verfügte mit Bescheid vom 18. April 1995 betreffend die Arzneiverordnungsweise der Antragstellerin im 1. Quartal 1994 Ersatzkassen einen Regreß in Höhe von 5.739,27 DM wegen Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 112 %. Auf den Widerspruch der Antragstellerin reduzierte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29. Mai 1996 - zur Post gegeben am 5. Juni 1996 - den Regreß auf 4.495,14 DM. Hiergegen hat die Antragstellerin am 18. Juni 1996 Klage vor dem Sozialgericht (SG) erhoben - S 10a Ka 472/96 - und gleichzeitig eine Auszahlung des zu ihren Lasten verrechneten Betrages im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt. Sie hat die Ansicht vertreten, der ausgesprochene Regreß sei rechtswidrig und diesbezüglich ua auf nicht berücksichtigte Praxisbesonderheiten - zB einen erhöhten Anteil von Mykosepatientinnen - und kompensatorische Einsparungen hingewiesen. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer sofortigen Auszahlung des streitigen Betrages hat die Antragstellerin auf ihre existenzgefährdende finanzielle Situation verwiesen.

Das SG hat mit Beschluß vom 10. Juli 1996 die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 29. Mai 1996 angeordnet. § 97 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei zwar nicht unmittelbar anwendbar, da die Vorschrift nur die Herabsetzung oder den Entzug von Sozialleistungen betreffe, zu denen die Honorare der Vertragsärzte nicht zählten. Vorläufiger Rechtsschutz sei jedoch analog § 97 Abs 2 SGG oder analog § 80 Abs 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu gewähren. Ansonsten drohten der Antragstellerin unzumutbare, irreparable Nachteile. Sie habe glaubhaft dargelegt, daß die Weiterführung ihrer Praxis und damit ihre jetzige berufliche Existenz akut gefährdet seien. Die Aussetzung der Vollziehung stehe im Ermessen des Gerichts. Hierbei seien die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen und das öffentliche Interesse an der Vollziehung mit dem privaten Interesse an der Aussetzung abzuwägen. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen anzusehen. Angesichts dessen überwiegen die Interessen der Antragstellerin.

Gegen den ihm am 22. Juli 1996 zugestellten Beschluß hat der Antragsgegner am 6. August 1996 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Der Antragsgegner ist der Ansicht, das SG habe die öffentlichen Interessen nicht ausreichend berücksichtigt. Mittlerweile sei ein Betrag im Rahmen anhängiger Verfahren von insgesamt 97.295,72 DM aufgelaufen. Weitere Anträge auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise seien bereits gestellt worden. Nach den Feststellungen des SG drohe der Antragstellerin möglicherweise der Konkurs, wenn die festgesetzten Beträge nicht ausgezahlt würden. Sollten die festgesetzten Beträge jedoch, wenn auch nur teilweise, rechtlichen Bestand haben, so bestehe bei jetziger Auszahlung die Gefahr, daß in Anbetracht der finanziellen Situation der Antragstellerin eine Rückzahlung nicht mehr erfolgen könne. Ein Verlust der Beträge gehe gemäß § 49 Bundesmantelvertrag -Ärzte/Ersatzkassen zu Lasten der Beigeladenen und damit der gesamten Ärzteschaft. Da eine Änderung des Verordnungsverhaltens der Antragstellerin nicht absehbar sei, sei für die Zukunft von einer weiteren Erhöhung der Regreßbeträge und bei fortgesetzter Aussetzung der Vollziehung der jeweiligen Regreßbesch...

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